Im südlichen Assam: Die North Cachar-Hills


Blick auf die Hauptstadt Haflong


Wochenmarkt in Maibang

Fotos von Christa Neuenhofer
Weitere Fotos von Christa

Karte des Distriktes

Im Süden der Berglandschaft

An der Grenze zu den N.C.Hills beginnt es zu regnen. Ein halbstündiger Sturzregen nimmt uns jede Sicht. Im Dunst fahren wir in etwa 700 m Höhe durch eine Landschaft mit urwaldähnlicher Vegetation. Schluchten, eine Brücke in 225 m Höhe, Militärlager, eine Teeplantage, ein Wasserkraftwerk, in Lower Haflong ein Bahnhof, der dieses abgelegene Gebiet mit den nördlichen Gebieten Assams verbindet. Die Bahnlinie von Gunjung nach Haflong mit 36 Tunneln wurde von den Briten gebaut, die Cachar 1832 annektierten.

Unsere Unterkunft, der Inspection Bungalow, liegt auf einem der Hügel in wunderbarer Lage. Im Innern müssen wir erst selbst für annehmbare Zustände sorgen. Unsere Kopfkissen sind wohl noch nie gewechselt worden, sie sind schwarz vor Dreck und stinken entsprechend, auch die fleckigen und muffigen Betttücher und Handtücher lassen wir auswechseln. Überraschend kommunikativ und hilfsbereit sind die anwesenden Politiker und Angestellten, so dass wir für die nächsten Tage einen Nagaguide zur Verfügung haben. Eine Kompanie Soldaten als Begleitmannschaft können wir aber verhindern.


Zeme-Naga aus Laisong

Kurzvideos:

Gesangsduett (Video)
Gesang mit Geige (Video)

Tanz im Innern des Morung (sw. Video)
Tanz am Morgen (Video)

Der Distrikt North Cachar Hills genießt seit 1952 einen Sonderstatus im indischen Bundesstaat als autonome Region mit einer Miniregierung, die durch Gesetze und Rechtsprechung über Land, Finanzen, Grundschulerziehung, Gewohnheitsrechte usw. bestimmt.

Im Distrikt wohnen ungewöhnlich viele Volksstämme, die eigene Traditionen haben und eigene Sprachen sprechen. Das Problem der Verständigung zeigt sich auch dadurch, dass von der Regierung ein Informationsbuch "Multi Lingual Word Book" herausgegeben wurde, welches uns von Kulendra Daulagupu (Executive Member des autonomen Rates) mit anderen Informationsschriften in Haflong überreicht wurde. In ihm werden die 10 wichtigsten Verkehrssprachen nebeneinander gestellt. In dem städtischen Bereich dient ein "Haflong-Hindi" zur Verständigung, ähnlich wie das "Nagamese" im Nagaland. Viele Leute verstehen auch Assamesisch und Bengalisch. Wie im übrigen Indien dient auch das Englische oft der Verständigung.


Ein Hindu-Guru aus Maibang

Um die Vielfalt der mongolischen-birmanischen-chinesischen Sprachen und die Unterschiede der Sprachfamilien zu zeigen, liste ich hier

die Wörter für Büffel/buffalo auf:

Die Dimasa Kachari ("Söhne des großen Flusses"), das größte mongolische Volk, wozu auch die Bodo im Brahmaputra-Tal zählen, sagen "Mesheb",
die Zeme-Naga, die vor den aggressiven Angami-Naga aus dem Nagaland über Manipur hierhin geflohen sind, sagen "Ngngaube",
die jetzt christlichen Hmar aus Myanmar sagen "Lawi",
die Kuki, in Myanmar Chin genannt, zu denen 37 verschiedene Gruppen gezählt werden, stammen aus Zentralasien. Sie sagen "Loi",
die Biate aus Zentralchina sagen "Seloi",
die Karbi, eine tibetisch-burmesische Rasse, sagen "Chelong",
die Hrangkhol, ein Kuki-Volk, sagen "Sebal".

Diese Völker benutzen die lateinische Schrift, die Assamesen und Bengalen dagegen die Hindi-Schrift.
Außerdem leben noch viele kleinere Bevölkerungsgruppen, auch Nepalesen, Manipuri, Deswari u.a. in den Hills.


Jungenschlafhaus und Treffpunkt der Anhänger der traditionellen Religion, der Herakabewegung

Die Vielfalt der Völker zeigt sich auch in den vielen Religionsstätten Haflongs. Neben über 15 Hindu-Tempeln gibt es 4 Moscheen und 11 Kirchen verschiedener christlicher Gemeinschaften. Wie überall in den Stammesgebieten konkurrieren besonders die christlichen Kirchen um die Menschen: die (reformierte) Presbyterianische Kirche, die katholische, die freie evangelische Kirche Indiens, die Unabhängige Kirche Indiens, die Vereinigte Pfingstkirche, die Foursquare (viereckige, evangelikale) Church, die Kirche von Ostindien. In Haflong hat jede christliche Gemeinschaft ihre eigene Kirche.


Morung in Laisong mit 100 m langen Tragbalken, die mit über 50 Leuten von den Berggipfeln hierher transportiert wurden.

Massenselbstmord der Vögel?

Neun Kilometer südlich von der Distrikthauptstadt Haflong tritt während der Monsun-Monate zwischen September und November ein ungewöhnliches Phänomen auf: Vögel stürzen in mondlosen Nächten durch den Nebel auf den Talboden von Jatinga. Die ersten Siedler 1890, die Zeme-Naga, glaubten, dass es sich um böse Geister handele und verließen wieder das Tal. Die Jaintia, die 1905 das Tal auf der Suche nach ihrem Vieh entdeckten, sahen die Vögel als Geschenk Gottes an und töteten die herabstürzenden Vögel. Dieser Vogelmord ging nach Protestaktionen von Vogelkundlern um 40% zurück. Die Jaintia leben hier vom Anbau von Orangen, Ananas, Papayas, Jack-Früchte, Arecanuss-Palmen u.a.. Die indischen Wissenschaftler erklären das Phänomen durch heftige Winde und durch Veränderungen des Magnetfeldes im Talwasser infolge des Monsuns, so dass die Vögel, etwa 44 Arten, plötzlich die Orientierung verlieren und Lichtquellen im Tal anfliegen.


Nachdem die Tänzer, auch viele Kinder, unermüdlich die ganze Nacht im Morung getanzt haben, setzen sie den Tanz nach Sonnenaufgang gegen 5 Uhr draußen fort. (Laisong)

Bei den Zeme-Naga

Am Vormittag besuchen wir das Zeme-Naga Dorf Boro-Haflong. Wie der Chef des Dorfes uns erzählt, gehört das Land um Haflong durchweg den Zeme-Naga, obwohl auf den Hügeln der Stadt Haflong auch die Völker der Kuki, Baita und Dimasa Siedlungen gebaut haben. Das Land gehört immer den Clans, die es an Interessierte vergeben, evtl. auch an Leute von anderen Clans. Dieses Land wird mit der Methode der Brandrodung bewirtschaftet. Für die soziale Versorgung von alten Menschen sind immer die Verwandten zuständig, nicht staatliche Stellen. Inzwischen sind wir wie üblich mit Tee bewirtet worden. Da unser Interesse besonders den alten Traditionen gilt, fragen wir u.a. nach ihrem Gottesglauben und den Ritualen. Der Dorfvorsteher meint, man glaube nur noch an einen Gott und opfere keine Tiere mehr, entsprechend der "Heraka"-Bewegung. Dies sei die Folge einer allgemeinen Reformation durch eine wichtige Frau, die sie die "Queen der Naga" nennen. Dabei weist er auf ein Bild an der Wand, das wir später in vielen Naga-Häusern sehen. Diese Frau, ihr Name ist Padma Bhushan Rani Gaidinliu, hat viele Jahre im Gefängnis gesessen.

Rani Ma, die Kämpferin für Freiheit und Tradition


Die Königin der Naga als Poster in den Häusern und auf einer Briefmarke

Geboren in Manipur, schloss sie sich mit 13 Jahren der Befreiungsbewegung gegen die britische Kolonialmacht an, wurde 1932 mit 16 Jahren zu lebenslanger Gefängnishaft verurteilt und kam erst 1947 nach der Unabhängigkeit Indiens frei. 1960 ging sie wieder in den Untergrund, um für den Erhalt der Traditionen gegen die christlich baptistische Bewegung "Nagaland for Christ" zu kämpfen. In den 70er und 80er Jahren wurde sie aber mit mehreren Auszeichnungen geehrt. 1993 starb sie mit 78 Jahren. Von vielen wird sie als lebende Göttin und als Mutter eines unterdrückten Volkes verehrt. Ihre kulturelle "Heraka"-Bewegung stand der Jadonong-Bewegung nahe, die das fremde Christentum als eine Fortsetzung der britischen Fremdherrschaft ansah.

Jadonong trat für den Erhalt der Blutopfer ein. Er selbst wurde 1931 von den Briten gehängt. http://www.kanglaonline.com/index.php?template=kshow&kid=57&Idoc_Session=2d75b981d9ab8e58e41b6352ad2a750c


Bemalter Gedenkstein der Zeme-Naga

Eine weitere Besonderheit der Zeme-Naga sind die Begräbnis- oder Gedenksteine. Mehrmals kommen wir an Steinen vorbei, die einem Gesicht nachgebildet sind oder in einer Reihe auf alle Frauen hinweisen, die dieser Mann besessen hat; angeblich ehren ihn 100 Steine, also hatte er 100 Frauen.

Im Dorf finden wir auch ein Jungenschlafhaus (Morung), in dem die Jungen bis zur Heirat nachts schlafen und so viele soziale Erfahrungen machen, da in der Gruppe auch gemeinsam gearbeitet und gefeiert wird. Die Mädchen schlafen im Haus einer Witwe. Der probeweise sexuelle Kontakt ist so eine normale Erfahrungssituation im jugendlichen Alter.

Im Falle einer Heirat zahlt ein Junge bis maximal 500 Rupies und schenkt je nach Vermögensstand Tiere wie Hühner, Ziegen oder Wasserbüffel an die Familie seiner Braut.

Das Frühjahrsfestival der Zeme-Naga

Am Nachmittag fahren wir durch das dicht bewaldete Mahur-Tal zu dem traditionellen Zeme-Naga Dorf Laisong an der Grenze zu Manipur. Dort erwartet uns eine besondere Überraschung. Im Dorf feiern die Bewohner im Morung jetzt, einen Tag nach Vollmond, das große Frühjahrsfest. Nachdem sie am ersten Tag nur gegessen und getrunken haben, tanzen und singen sie am zweiten Tag die ganze Nacht hindurch. Sowohl die Halbwüchsigen als auch die Kinder singen und tanzen unentwegt, bis einige Kinder erschöpft auf einer Bank in den Schlaf sinken.


Tänze der Zeme-Naga. Die Beine der Männer sind mit Reismehl geweißt. Unterhalb der Knie tragen sie schwarze Wülste aus Pflanzenfasern.

Die Tänze sind Reihentänze, der Oberkörper wird hin und her gedreht, die Arme sind angewinkelt erhoben, wobei frische Blätter in den Händen gehalten werden oder am Arm befestigt sind und als Ring um den Hals gelegt werden. Der Tanz enthält einen sehr langsamen und einen schnelleren Teil. Beim Tanz singen die Teilnehmer und die Musikergruppe. Als Musikinstrumente dienen Trommeln und Cimbeln. Eine einsaitige Geige wird zur Gesangsbegleitung benutzt. Die Zeme singen auch gerne im Duett, wobei viele Töne genussvoll in die Länge gezogen werden.

Auf unsere Frage, was der Inhalt der Gesänge sei, hieß es, es seien Aufzählungen, die mit der Situation zu tun haben, z.B.: Ich habe weiße Beine, ich habe schöne Kleider, ich komme, ein wenig zu tanzen...

In der Nacht sollen wir zunächst am Herdfeuer des Lehrers schlafen, aber später stellt er uns sein Bett im Nebenraum zur Verfügung und erklärt, schließlich habe er seinem Sohn den Namen "Guesthouse" gegeben. Die Gesänge und die Trommeln aus dem nebenan liegenden Morung begleiten uns die ganze Nacht. Am frühen Morgen kommen immer wieder ganz unbefangen Einheimische ins Zimmer. Es gibt kein fließend Wasser, aber ein Regenwasserbecken neben dem Haus, an dem wir uns waschen, während die Frau des Lehrers uns neugierig betrachtet. Das Toilettenhäuschen, eine Art Donnerbalken, ist uns zu gefährlich, da die Gefahr besteht am steilen Abhang im Garten auszurutschen.

Da der Lehrer häufiger Gäste hat, hat er seinen jetzt dreijährigen Sohn "Guesthouse" genannt. Das ist sicherlich auch in Zukunft eine Verpflichtung zur Gastfreundlichkeit für die ganze Familie.

Um 5 Uhr verlagert sich das Fest nach draußen. Im Morung torkeln einige junge Männer, singen trotz ihrer Trunkenheit im Duett ihre langsamen Gesänge. Ein sehr quirliger Mann, der durch seine Sprünge und Späße bereits unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, holt seine einsaitige Geige, stimmt sie, benetzt die Seite mit seiner Zunge und singt ein Lied. Kurz darauf setzt er sich zu einem älteren Mann und beide singen zusammen sehr konzentriert, obwohl beide viel Reisbier getrunken haben. (s.o. Videos)


Terrassen zwischen Laisong und Hejaichak

Zwischen dem Dorfchef und dem Lehrer kommt es zum Streit, als es darum geht, wer uns bei der Besichtigung des Dorfes begleiten soll. Im oberen Teil des Dorfes gibt es Orangenbäume und kleine Bienenbeuten aus Holz. Von hier aus sehen wir auf die hohen Berge des Nachbarstaates Manipur und auf ein Militärlager. Als wir das Morung wieder betreten und fragend auf ein Wasserbüffelgehörn am Balken zeigen, springen gleich mehrere Männer hoch und versuchen sich an den Hörnern hochzuziehen und einem gelingt sogar ein Klimmzug. Inzwischen haben sich die Jugendlichen aufgemacht und pflücken in den Bergen Blüten für den Blütentanz in der nächsten Nacht.

Dann beschließen wir, zum 20 km entfernten Zeme-Naga Dorf Hejaichak zu fahren, aus dem unser lokaler Führer stammt. Zunächst will er uns nicht dorthin bringen. Es sei ein rückständiges, primitives Dorf an der Grenze zu Manipur, sagt er uns. Da auch der Lehrer mitfahren will, wird es etwas eng im Auto. Die Landschaft ist wunderbar. Lange schmale, geschwungene Reisterrassen folgen den Berglinien. Im Talgrund verändern sich die Flächen zu unregelmäßigen Rechtecken.

Stolz zeigen uns die Einheimischen etwas ganz Besonderes, wie sie meinen, einen Holztrog, der das Quellwasser auffängt. Dieses Dorf liegt an einem Steilhang, hat aber einen Fußballplatz und auf einem Nachbarhügel eine Hinduschule. Die Heraka-Versammlungshütte können wir nicht besichtigen, weil sie nur bei Vollmond geöffnet wird. Am Morung hängt eine Klotzbeute, in der kleine, schwarze Insekten wohnen. Das seien die Bienen, sagt uns der Guide. Aber sie sehen eher aus wie kleine, schwarze Wespen oder geflügelte Ameisen.

Außerhalb des Dorfes lassen wir uns auch noch einen "Friedhof" zeigen: zwei Gräber im Gebüsch. Es sind längliche, wild bewachsene Hügel, die durch ein Stangengeflecht vor Tieren geschützt sind, ohne irgendwelche Hinweise auf die Begrabenen. Normalerweise begraben die Zeme-Nage ihre Toten am Wohnhaus und bedecken die Stelle mit einer großen Steinplatte.

Nähere Informationen zur Entwicklung und Selbstverständnis der Naga sind im umfangreichen Katalog (463 Seiten!) der Uni Zürich zur Ausstellung "Naga-Identitäten, Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens", 2008, zu finden.

Bei den Dimasa ("Söhne des Flusses")

"Juthai" - Guten Tag! Danke!

Gegen Mittag fahren wir zurück über Mahur auf die Hauptstraße nach Norden. An vielen Stellen wird eine große Autostraße gebaut, die diese abgelegenen Gebiete mit der Brahmaputraebene verbinden soll. Unser Ziel ist Maibang, wo die früheren Dimasa-Könige residierten, bis sie von den Ahom-Königen vertrieben wurden.


Das berühmteste Denkmal der Dimasa: Ein aus einem Felsen geschlagenes Haus
(
s. die künstlerisch ausgearbeiteten Fruchtbarkeitsstelen von Dimapur)

Maibang liegt in einem offenen, breiten Tal des Mahur-Flusses. Schon der Name Maibang, "Überfluss an Reis", weist auf die fruchtbaren Felder hin. Hier gründeten die vor den nördlichen Ahom geflohenen Dimasa-Könige ihre neue Hauptstadt. Sie ist sicher nach Größe und Pracht nicht mit ihrer ersten Hauptstadt Dimapur vergleichbar. Aus dieser Zeit, dem späten 16. Jh., stammen nur zwei Zeugen, eine kleine Hausskulptur (s.o.) und zwei Inschriften. Nach Auskunft unseres lokalen Führers hat man die Inschriften noch nicht entschlüsselt, was nicht stimmt. Sie weisen auf den königlichen Status eines Dimasa-Königs im Jahr 1576 hin, von dem in Bangladesch viele Münzen gefunden wurden.

Die Dimasa-Kachari gehören zur tibetisch-mongolischen Gruppe der Bodo, die einst die gesamte Assam-Ebene besiedelten. Da die Dimasa keine Schrift kannten, weiß man nur aus den historischen Schriften der Ahom und von Münzfunden etwas von der Vergangenheit der Dimasa. Im 15. Jh, gab es im nördlichen Assam drei große Königreiche: in Zentral-Assam das Dimasa-, im oberen Assam das Ahom- und im Osten das Koch-Königreich. Nach wechselndem Schlachtenglück wichen die Dimasa im 16. Jh. nach Süden aus und siedelten in den abgelegenen und schwer zugänglichen Cachar-Bergen.

Nach längerem Suchen und Warten gelingt es uns mit Hilfe vieler Handyanrufe, unsere örtlichen Dimasa-Verbindungsleute in Maibang zu treffen. Vier Führer! In der Nähe hat unser freundlicher Politiker aus Haflong über Handy eine Tanzvorführung in dem abgelegenen Dorf Gidingpur vorbereiten lassen. In Gidingpur, einem Dimasa-Dorf auf einer Wiesen-Ebene am Fluss, wo zwischen den z.T. strohgedeckten Häusern die Kühe und Ziegen weiden und die Bewohner von einer elektrischen Leitung profitieren, werden für uns einige Stühle auf den Rasen gestellt. Während wir auf die Musiker und die Tanzgruppe warten, beobachten wir, wie die Bewohner mit langen Stangen und Drähten die elektrische Hauptleitung mit dem eigenen Haus verbinden. Die Musiker sind Männer, drei Trommler und ein Schalmeispieler mit einem ein Meter langen Instrument. Als eine farbig gekleidete Frauengruppe schließlich einige Tänze vorführt, ist das ganze Dorf versammelt und beobachtet aus der Ferne uns und die Tänzerinnen. Es zeigt sich allerdings, dass unsere Dimasa-Begleiter eigentlich gar nichts von der traditionellen Kultur ihres Volkes wissen.


Dimasa-Tanzgruppe aus dem Dorf Gidingpur in traditioneller Tracht

Der Versuch, das "zurückgebliebene", traditionelle Dimasa-Dorf Semkhor zu erreichen, scheitert an den schlechten Straßenverhältnissen. Die ihnen zugedachten Geschenke, Tabak, kleine Zigaretten und Bonbons, verschenken wir an eine Gruppe aus Semkhor, die zum Markt nach Maibang will. Sie wirken auf uns gar nicht so wild, aggressiv und misstrauisch, wie unsere Führer sie beschrieben haben. Später treffen wir einige der Frauen, die den langen Fußweg in die Stadt mit nackten Füßen zurücklegen, noch einmal. Sie haben in ihren Tragkörben sogar Feuerholz für den eigenen Bedarf mitgebracht. Sie hätten Kopfschmerzen und ihnen wäre übel, klagen sie und fragen, ob wir Tabletten hätten.

Statt des Dorfs in den Bergen besuchen wir die Dimasa-Bergdörfer Thapa (550 m), Solikantapur, Mahurwapu und Kimkridisa. Der Weg geht vorbei an abgestorbenen Bambuswäldern. Alle 45 Jahre käme es zu diesem Absterben, erzählen die Einwohner. Da die Stauden vorher lange Rispen mit reisähnlichen Körnern ausbilden, vermehren sich die Ratten explosivartig, die allerdings nicht zwischen Reiskörnern und Bambuskörnern unterscheiden. Das führt dann zu einer Hungersnot in den Bergen. In Mizoram, erzählt James, sei es besonders schlimm. Die Bevölkerung versucht aus dem Bambussamen ähnlich wie aus Reis Bier herzustellen. Vor vielen Häusern liegen die Samen zum Trocknen in der Sonne. Eine andere Spezialität holen die Dorfbewohner aus den Bambuswurzeln: verpuppte Raupen. Sie werden auf dem Markt angeboten und gegessen.

In verschiedenen Häusern werden wir freundlich zu einem Tee und zu Betelnüssen eingeladen. Die Dimasa erklären uns, dass sie mit dem Verkauf von Betelnüssen Geld verdienen . Auf den Webstühlen, die vor jedem Haus stehen, werden Stoffe für den Eigenbedarf gewebt. Vor einigen Häusern stehen baumhohe Baumwollpflanzen. Die Rhizinussträucher dagegen geben das Fressmaterial für die Eri-Seidenraupen. Für 1 Kilo federleichter Eri-Kokons bekommen die Bauern vom Händler 300 Rupies (4.40 €). Die feineren Muga-Seidenkokons bringen das Doppelte. (Das Leben der Muga-Spinner ist auf einer indischen Internetseite durch Bilder und Videos sehr gut festgehalten worden.)


Reisbierfilter und Bienenkästen.
500 Gr. Honig kosten 100 Rs (1.46 €)

Im Inspection Bungalow in Maibang hängen wir am Abend erst mal mit Hilfe langer Stricke unser Moskitonetz auf. Die riesigen Schaben in der Toilette gehören zum Invertar. Natürlich funktioniert kein Wasserkran. Kaum haben wir mit Wassertassen den Schweiß abgespült, verlöschen die Lampen. Nur eine kleine Kerze leuchtet uns an diesem Abend.

Maibang ist ein gefährliches Pflaster. Als am nächsten Tag die Händler und Bäuerinnen aus den umliegenden Dörfern zum Wochenmarkt in die Stadt strömen, zeigt sich auf den Straßen ein großes Polizeiaufgebot. Wie wir später erfahren, kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Dimasa, den Kuki und den Karbi. Häuser werden angezündet und Menschen mit dem Dao getötet. 2005 wurde ein Schulbus angehalten und viele Schülerinnen getötet, um die Siedler anderer Stämme vom Territorium zu vertreiben. Die Zeitungen berichten, dass neben den täglichen Tötungen und dem Niederbrennen von Häusern es fast jährlich zu einem Massaker kommt. Dadurch, dass jede Aktion eine Racheaktion zur Folge hat, hören die Untaten nicht auf.

Wir erleben aber vorerst den Markt in Maibang, der sich zwischen unbeschreiblichem Dreck und stinkenden Wasserpfützen abspielt. Das explosive Gemisch von Völkern und Religionen zeigt sich uns auch, als eine Gruppe Hindus singend, tanzend und bettelnd durch die engen Gassen eines Hinduviertels zieht, während Zeme-Nagafrauen, die einen halben Tag weit aus den Bergen gekommen sind, im Schmutz hocken und ein paar Pilze und Hühner verkaufen wollen. Armut und Neid sind wohl die Hauptursachen für die Gewaltausbrüche in diesen Regionen Assams.

Am Ufer des Mahur besichtigen wir den Verbrennungsplatz von Maibang. Dort stehen einige "Gedenkhäuser" aus Zement und aus Bambus. In einem dieser Grabhäuschen befindet sich ein Minizimmer mit kleinen Stühlen, Tisch und Bett. Dieser Verstorbene ist vor 40 Jahren auf unnatürliche Weise umgekommen, indem er von Hunden zerrissen wurde. Hier findet seine umherirrende Seele eine Ruhestelle und wird so nicht sein altes Haus und seine Verwandten erschrecken.


Dieses offene Gedenkhaus enthält viele Gebrauchsgegenstände aus dem Leben des Verstorbenen, aber auch Geisterfallen zur Abwehr der Dämonen.

Die Dimasa sind noch sehr ihren alten Traditionen verbunden. Einmal im Jahr, am 27.1., werden sogar noch Büffel geopfert. Allerdings gibt es nicht in allen Dörfern einen traditionellen Priester. Die Besinnung auf ihre Vergangenheit führte auch dazu, dass von der Wiedererrichtung eines Dimasalandes gesprochen wird. In Opposition dazu stehen die anderen eingewanderten Völker, die oft auch christlich sind.

Bei den Kuki

Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel Lumding wollen wir noch einige Kuki-Dörfer besuchen. Dafür begleiten uns ein Dimasa und ein Bengale auf einem Tuktuk. Das Bergland weist die geringste Bevölkerungsdichte Assams auf, so dass die Dörfer weit verstreut liegen. Das Volk der Kuki ist von Manipur her eingewandert, vertrieben von den aggressiven Angami-Naga, die sie mit ihren Raubzügen und Kopfjagden bedrängten. Sie sind tibetisch-burmanischen Ursprungs und gehören zur Chin-Sprachgruppe. Heute leben sie in acht verschiedenen Staaten: Manipur, Mizoram, Assam, Meghalaya, Nagaland, Tripura, Myanmar und Bangladesch.


Im Gespräch mit einer kleinwüchsigen Kuki-Frau

In einem Dorf (Leikeh) treffen wir auf eine Frau, die vor ihrer Hochzeit Lehrerin an der Don-Bosco-Schule in Haflong war und sehr gut Englisch spricht. Vor 10 Jahren habe sie ihren Mann geheiratet und sei hierher gezogen. Leider bekommt sie nicht die Genehmigung an der vierklassigen Dorfschule zu unterrichten. Wie üblich ist der angestellte Lehrer zur Zeit nicht anwesend.

Sie befragt ihren Schwiegervater, woher die Kuki dieses Dorfes gekommen seien. Er erzählt, dass dieses Dorf unter der Leitung des Dorfoberhauptes schon fünfmal verlegt worden sei, aus ganz abgelegenen Regionen immer näher zu den Hauptverkehrswegen. Der Name des Dorfchefs Leikeh ist auch der Name des Dorfes. Das Land der heutigen Dorflage sei ihnen vor etwa 40 Jahren von den Dimasa zur Verfügung gestellt worden. Die Dorfbewohner sind so arm, dass sie weder einen Büffel noch eine Kuh für die Feldbestellung haben.

Nach meinen Recherchen hat es mehrere Einwanderungswellen in die fast menschenleeren Cachar-Berge gegeben. 1828 wurden Kuki vom Raja G.Chandra von Cachar gerufen, 1831 siedelten sich 250 Kuki-Familien,100 Naga-Familien und viele Bengalen an, 1851 wanderten 8000 Kuki ein, gefördert von den Briten.


Das arme Kuki-Dorf Leikeh, das bereits fünfmal verlegt wurde.

1921 seien die Kuki zum Christentum übergetreten und hätten dem Animismus und dem Glauben der Vorväter abgeschworen. Es gäbe noch ein Festival, auf dem gesungen und getanzt würde. Als wir fragen, ob jemand ein Lied vorsingen möchte, schweigen alle. Zu diesem Ort käme 1-2 mal wöchentlich ein Priester der Presbyterian Church.

Seit dem Übertritt zum Christentum gibt es keine Kopfjagd mehr zwischen den Chin-Kuki. Gründe für die Kopfjagd lagen in der Verpflichtung, die Kraft eines verstorbenen Dorfchefs und eines Kopfjägers für die Gemeinschaft zu erhalten, indem ein frischer Kopf auf ihr Grab gestellt werden musste. Ein weiterer Grund waren Rache und Blutfehde. Das alles fand statt mit dem Segen des Priesters und unter Anrufung des höchsten Gottes. Den höchsten Wert hatte ein Kinder- und Frauenkopf, weil der Jäger dafür in das Dorf eindringen musste.

Berichte über den Glauben der Kuki entsprechen weitgehend der Überlieferung anderer Himalaya-Völker. Sie glauben an einen Schöpfer-Gott (Chung-Pathen), an einen Himmel (Mithiko), an eine Wiedergeburt in einem neugeborenen Kind, an die Dienstbarkeit der erschlagenen Feinde als Sklaven und die weitere Nutznießung der bei Verdienstfesten geopferten Tiere nach dem Tode . Jedes Dorf hatte einen weiblichen Schamanen (Thempu) und jede Familie ihren Familienpriester. Bei dem Begräbnis eines Menschen wurde ein Büffel (Mithun) geschlachtet und andere Tiere, die jeder Angehöriger mitbringen musste. Das Fleisch wurde auch als Botschaft in entfernte Siedlungen geschickt. Für einen Chef wurde auch ein Mensch getötet. Die Schädel der Tiere schmückten dann das Grab des Verstorbenen.


In einem Kuki-Haus:
Die neue christliche Moral der Kuki drückt sich nicht mehr durch Schädeltrophäen aus, sondern durch christliche Bilder, in denen eine liebevolle und göttliche Maria und eine harmonische Familie als moderne Leitbilder und Schutzbringer dargestellt werden.

Die Nacht verbringen wir im Inspection Bungalow in Lumding. Unerträgliche Hitze und tausend Mücken machen uns das Leben schwer. Als dann mehrmals der Strom ausfällt, begeben wir uns mit einer Taschenlampe auf dieSuche nach einem Wineshop, um Bier zu besorgen.

Am nächsten Morgen erfahren wir, dass die direkte Straße nach Guwahati nur in einem vom Militär gesicherten Konvoi befahren werden darf. Der Konvoi aber fährt erst am Nachmittag. Da wir solange nicht herumhängen wollen, beschließen wir, einen Umweg durch die Rengma-Hills zu nehmen. Dort hoffen wir noch Rengma-Naga und Karbi zu treffen.

Im Clan meiner Mutter
gibt`s Mädchen – schön wie Bambushalme,
trotzdem gaben sie mir eine Witwe;
mein Herz fühlt sich schlecht.
Wenn ich einst sterbe und in die andere Welt eingehe,
erreiche ich die mit unglücklichem Geist.
Kochen allerdings, das kann sie.

(Lied der Westlichen Rengma)

Bei den Karbi


Bezeichnend sind die großen, silbernen Ohrpflöcke und die tätowierte Gesichtslinie bei älteren Frauen.

Wir besuchen die Karbi-Dörfer Lumbajong und Borjan. Es sind Neusiedlungen, weil es vor vier Jahren zu blutigen Auseinandersetzungen mit den Kuki gekommen ist.

Die neuen 100 Häuser sind fast alle klein und gleichförmig gebaut, während die alten Häuser ein Wohnhaus, einen Schuppen und ein Gebäude mit einem offenen Arbeitsraum umfassen. Neben dem Haus steht ein Webstuhl, einmal sehen wir auch einen Rückenwebstuhl. Zwischen den Häusern befinden sich viele Gärten mit Ananaspflanzen.

Zur Sprache der Karbi

Mikir oder Arleng Alam wird die Sprache des Karbi-Volkes genannt. Sie ist die drittgrösste Stammessprache in Assam, aber noch wenig erforscht. Sie gehört zur sinotibetischen Sprachfamilie. Das Karbi ist eine Tonsprache mit einer vergleichsweise einfachen Konsonanten-und Vokalstruktur.

Gewaltausbrüche

Nach einem Bericht von Ärzte ohne Grenzen wurden beim letzten Gewaltausbruch und den darauf folgenden Vergeltungsmaßnahmen im Distrikt Karbi Anglong in Assam im Oktober 2005 mehr als 90 Personen getötet. Nach diesen Zusammenstößen, die im Nordosten Indiens nicht selten sind, flohen schätzungsweise 40.000 Menschen aus ihren Häusern in Karbi Anglong und im benachbarten Distrikt Nord-Cachar, um sich in den umliegenden Hügeln in Sicherheit zu bringen. Ohne Nahrungsmittel, Unterkunft und andere Ressourcen haben die Vertriebenen oft keine andere Wahl als sich in überfüllte staatliche Lager zu drängen....Aufgrund von politischen Erwägungen wurden Tausende Menschen unter erbärmlichen Bedingungen über acht Jahre in solchen Lagern festgehalten.....Vernachlässigung durch die Regierung, Terror durch bewaffnete Gruppen und die zermürbende Armut haben das vorhandene Gesundheitssystem der Region zugrunde gerichtet. Malaria ist eine schreckliche Plage für die Menschen, und nur wenige haben Zugang zu einer wirksamen Behandlung.

Am letzten Morgen besuchen wir das Museum in Guwahati. Nach dem Mittagessen Transfer zum Flughafen für den Flug nach Delhi und Weiterflug nach Amsterdam


Alte Schutzgottheit Shiva aus dem Museum in Guwahati

Gewalt in den N.C.Hills:
The Black Widow
http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/states/assam/terrorist_outfits/blackbw.HTM

Nach einem Massaker mit 37 Toten in Nordindien haben deren Angehörige Häuser eines verfeindeten Stammes in Brand gesteckt. Mitglieder des Stammes der Karbi legten am 18. Oktober Feuer in mehreren Dörfern der gegnerischen Dimasa, die sie für zwei blutige Überfälle am Vortag verantwortlich machten, wie die Behörden des Bezirks Karbi Anglong im Unionsstaat Assam mitteilten. Am 17. Okt. hätten Dimasa-Kämpfer einen Bus überfällen und 22 Karbi mit Macheten zu Tode gehackt, hieß es. Anschließend hätten sie ein Dorf der Karbi in Brand gesteckt und 15 Bewohner getötet.

In dem ethnischen Konflikt zwischen den beiden Stämmen kommt es seit Jahren zu blutigen Ausschreitungen. In den vergangenen Wochen eskalierte die Gewalt, mehr als 50 Menschen wurden getötet. Der Nordosten Indiens ist eine unruhige Region mit knapp 40 aktiven Separatisten-Gruppen, Stämmen und linken Gruppierungen in fünf Bundesstaaten. (AG Friedensforschung an der UNI Kassel)

Haflong, May 19 : A 70-year-old leader of Biate tribe was shot dead at his residence near Haflong in violence-affected North Cachar Hill district by suspected militants from Black Widow or Dima Halam Daogah (Jewel Garlosa) on Friday morning.

http://www.crusadewatch.org/index.php?option=com_content&task=view&id=327&Itemid=54



Die Autoren mit freundlichen Zeme-Naga

Reisebericht Meghalaya
Weitere Reisen durch Assam

THE OFFICIAL WEBSITE OF DISTRICT INFORMATION & PUBLIC RELATIONS (JANASANYOG), N.C.HILLS, ASSAM (http://diprnchills.gov.in/paradise.htm)

Naga-Identitäten, Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens, ein empfehlenswerter, umfangreicher Katalog (463 Seiten!) der Uni Zürich zu einer Naga-Ausstellung 2008.

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