Die Mahlzeit für die Erdmutter

„DIE WEIßE MESA“ (MESA BLANCA)

Die weiße Mesa ist eine Opfergabe an die "Mutter Erde" (Pachamama). Sie wird Mesa (= spanisch. "Tisch") genannt, weil sie als Mahl für die Erde gedacht ist. Menschen, die an Pachamama glauben, stellen sich vor, dass die Mesa eine Form des "Beköstigens" der Pachamama sei, da auch sie - wie die Menschen - Hunger habe.

Kranke Menschen oder solche mit Beschwerden oder Problemen, die nicht von einem Arzt geheilt werden können, bereiten eine weiße Mesa. Mit der Mesa bitten sie nicht nur um Gesundheit, sondern auch um Wohlergehen im allgemeinen, um berufliches Weiterkommen und sogar bestimmte materielle Güter.

Die Opfergabe sollte an den ersten Tagen eines jeden Monats - mit Ausnahme von Dienstag und Freitag - erfolgen. Am besten eignet sich jedoch der Monat August für Opfergaben an die Pachamama, da der August ein sehr kritischer Monat ist, in dem Pachamama "großen Hunger" hat. Aus diesem Grund, sagt man, öffneten sich die Berge, passierten Naturkatastrophen und starben Menschen. Wenn Pachamama ihre Nahrung nicht erhielte, dann ernähre sie sich von den Menschen.

Der Lamafötus (sullu) symbolisiert die Gabe eines weißen Lamas. Da es nicht möglich ist, Pachamama ein Lama zu opfern, wählt man stattdessen einen Fötus derselben Tierart. Mit weißer Wolle umhüllt, soll der Fötus ein weißes Lama symbolisieren.

EINE WEISSE MESA BESTEHT AUS FOLGENDEN BESTANDTEILEN:

Einem Lamafötus (sullu), der mit Lamafett (untu) eingerieben wird, um goldenes und silbernes Papier auf seinem Kopf und Rücken zu befestigen. Es dient als Schmuck des Tieres und symbolisiert Geld und Reichtum. Der Lamafötus sollte in weiße Lamawolle eingehüllt sein. Er wird auf die Süßigkeiten, in die Mitte der Mesa gestellt.

Süßigkeiten (confites) in Form kleiner Figuren bilden die Grundlage der Mesa. Man stellt sich vor, dass sie das Mahl von Pachamama seien, und dass die Darstellungen die Wünsche der Menschen repräsentierten. So gibt es z.B. Süßigkeiten, die Autos, Bücher oder Geld symbolisieren. Andere Stückchen besitzen die Form eines Lamas (und stehen somit für wirkliche Lamas), in Form eines Frosches (für Glück), in Form des Heiligen Santiago (ebenfalls Glück) oder in Form von Flaschen (für Wein). In einer weißen Mesa sollten alle Süßigkeiten von weißer Farbe sein.

Weiße Wolle umgibt die Süßigkeiten und definiert so den Bereich der Mesa.

Über die Süßigkeiten werden aromatische Kräuter (k'oa), Lamafett (untu) und Kokablätter gestreut.

Nüsse, normalerweise sind es zwei, werden geöffnet und aus ihrem Inhalt geweissagt: sind sie frisch, so wird dies als gutes Zeichen für die betreffende Person gedeutet, sind sie aber schlecht, so deutet dies auf Krankheiten oder andere Probleme des Opfernden hin.

Auf die Mesa wird fein geschnittenes, silbernes und goldenes Papier (mixtura) gestreut. Dies ist typisch für jede Mesa, d.h. Opfergabe, an die Pachamama.

Die Mesa wird in der Nacht oder im Morgengrauen dargebracht. Ein kleines Feuer wird entzündet, wenn genügend Holzkohle entstanden ist, setzt man die Mesa auf die Glut und beträufelt sie mit Alkohol, süßem Wein und Zucker. Während die Mesa brennt, gibt man Weihrauch (incienso) hinzu. Flammt der Weihrauch in der Mesa auf, gilt es als Zeichen für Glück. Verbrennt der Weihrauch ohne weitere Zeichen, dann wird dies als schlechtes Zeichen gedeutet. Diese Zeichen werden als Nachrichten der Pachamama an die ihr opfernden Menschen verstanden."

Aus der Sonderausstellung "Es spuckt in den Anden : Kultur und Geschichten rund um das Lama" im Linden-Museum Stuttgart (2002)

Opfergaben der Indios früher und heute

In der vorspanischen Zeit waren Lamas und Alpacas (neben den Meerschweinchen) die beliebtesten Opfergaben. Nur äußerst selten spendete man gefangene Vicuñas und Guanacos. Die für einen einzelnen Spender sehr wertvollen Tiere stammten gewöhnlich aus den Herden der Dorfgemeinde oder - im Einverständnis mit den zuständigen Inka-Beamten - aus staatlichem Besitz.

Die Opfergaben wurden in einer öffentlichen Zeremonie dargebracht. Vor einem Idol stellten sich die Teilnehmer auf, und der Priester führte das Tier rund um das Götterbild herum. Dann stellte der Opferpriester das Lama vor das Bild, rief die Gottheit an und schnitt dem Tier den Hals durch. Weiße Lamas und Alpacas wurden nur der höchsten Gottheit Inti, der Sonne, dargebracht, während braune oder gefleckte Herdentiere als Opfergaben für den Donnergott dienten.

Weissagungen aus den Eingeweiden eines besonders ausgewählten Lamas waren gebräuchlich. Während der Zeremonie hielten vier Priester den Kopf des Tieres in Richtung des Sonnenaufganges, während der Opferpriester die linke Seite aufschnitt. Dann zog der Priester Herz und Lunge des geopferten Lamas mit einer raschen Bewegung aus dem Tierleib. Wenn die Lunge noch atmete, war es ein sehr günstiges Omen. Blieb dies (nebst anderen Zeichen) aus, wurde ein zweites, dann ein drittes Tier auf die gleiche Weise geopfert. Schlugen drei Versuche fehl, hatte die Gottheit die gestellte Frage negativ beantwortet.

Eine andere Art der Wahrschau bestand darin, die Lungen des getöteten Tieres aufzublasen und die Prophezeiung am Netz der Adern abzulesen. Auf diese Weise gab der Gott seine Antwort mit >Ja< oder >Nein< bekannt.

Über noch immer vorkommende Bräuche berichtet der skandinavische Forscher Rafael Karsten: >... Auch beim Bau von Häusern brachten die Peruaner der Inka-Zeit Zauberopfer dar, wie sie heute noch sowohl bei den Aymara wie bei den Quechua üblich sind. Wenn man das Fundament für ein neues Haus ausgräbt, muss man Vorsicht walten lassen, um die Geister dieses Ortes und die Erd-Mutter (Pachamama) nicht zu erzürnen. Denn man tut der Erde ja Gewalt an, wenn man zu graben beginnt und Pfähle in den Boden schlägt. Der Zorn der Geister könnte bewirken, dass das Haus bald einstürzen wird oder schnell verfault.

Die Opferzeremonien, die das Unglück verhüten, müssen vom Baumeister oder einem Curandero verrichtet werden. In der Nacht vor Baubeginn werden Lamaföten, Lamatalg, Blätter und Stängel der heiligen Pflanze Uira-Coya sowie Cocablätter in Bündeln verpackt. Unter Beachtung der genau vorgeschriebenen Gebräuche wird am nächsten Tag je ein Bündel an den vier Ecken und in die Mitte des künftigen Hauses vergraben, wobei der Zauber-Priester ein Gebet spricht...