Sechs dramatische Geschichten aus Hoxfeld

 

1.Wie das Leben so spielt,

2.Lisbeth,

3. Felix,

4.Und es war wüst und leer,

5. Die große Flut,

6.Vom tapferen Piratenschreck

 

Wie das Leben so spielt
Eine Entengeschichte aus dem Frühjahr 2001

So ist es denn gekommen. Unsere blonde Ente tat das, was sie tun sollte. Sie ging ihrer Pflicht nach. Oder nicht? Entsprach es eher ihrer Neigung oder war es eher ein Drang? Jedenfalls setzte sie sich in ihr Nest auf ihre 20 Eier, während ihre Liebhaber noch Brust an Brust um das Vorrecht kämpften, an ihrer Seite zu gehen, zu fliegen, zu liegen.

Das war gestern. Heute sitzen alle drei vereint ganz friedlich auf dem Hügel, da, wo sie ihr Nest hin gebaut hat, sichtbar für alle und alles sichtbar für sie. Aber jetzt hat sie ihren Kopf hinein gedrückt in die weichen Flaum- und Daunenfedern ihres Nestes. Sie ist glücklich, so scheint es. Dazu hat sie wohl auch allen Grund. Etwas ganz Unwahrscheinliches hat sie bewirkt. Wer hätte das für möglich gehalten? Neben ihr im Nest sitzt Paule, einer ihrer Liebhaber, hat den blau-grünen Kopf hoch erhoben und geht seiner Pflicht nach, seiner Neigung, seinem Drang, aber doch nicht seiner Natur. Er sitzt und brütet. Er sitzt neben seiner Liebsten im weichen Nest auf den Eiern und brütet. Vielleicht denkt er an die Nachkommen, die er dann wohl auch ganz mütter-väterlich hüten will, ganz anders als sein Artgenosse auf dem Pröbsting-See. Weiß er, dass sein Verhalten eigentlich unnatürlich ist? Sein Vater hatte doch versucht alle Jungen tot zu beißen. Er selbst ist einer der wenigen Überlebenden dieser Eifersuchtsattacken. Sind seine Hormone in Unordnung geraten? Nein, er denkt nicht darüber nach. Denken und Interpretieren sind nur ungenügende menschliche Spekulationen. Er ist, wie er ist. Jetzt sitzt er da mit erhobenem Haupte und achtet der Feinde, die da kommen könnten. Nichts soll seiner Blonden passieren. Mit seinem Leben will er sie schützen.

Das war gestern. Heute sitzt er nicht mehr alleine auf dem Hügel. Vor dem Nest sitzt sein Rivale Peter. Er versperrt jeden Zugang. Was soll das? Er gehört hierhin, nicht dieser Peter. Da erhebt sich plötzlich unsere blonde Friederike und fliegt in hohem Bogen hinaus auf das Wasser. Das geschieht so überraschend, dass sie beide wie erstarrt allein am Nest sitzen blieben und etwas blöd auf das Wasser starren. Aber einen Augenblick nur, dann stürzen sie beide Flügel schlagend den Hügel hinab und "rch-rch-rch" umkreisen sie die Blonde, die Schönste von allen, jedenfalls im Vergleich zur dunklen Karla, die ebenfalls aufgeregt quakend von ihrem Nest kommt. Keiner kümmert sich um sie. Sie kann schreien, wie sie will, sie kann ihren Kopf einziehen, sich den beiden Männern von allen Seiten zeigen - selbst eindeutige Angebote werden von ihnen abgelehnt. Unverständlich! Ja, Liebe macht blind. Sie hat keine Chance. Diese Dummköpfe drehen sich noch nicht einmal um. Aber warten wir`s ab. Wer zuletzt lacht.... Diese geilen Böcke, lächerlich, immer im Gleichschritt hinter dieser Kleinen her, im Wasser wie auf dem Lande. Na ja. Dumm. Der Peter. Er ist doch der zweite. Und da, jetzt ist es wieder so weit. Sie rennt zum Nest, beide wollen hinterher, jeder will der erste sein und schon haben sie sich ineinander verbissen. Keiner will den anderen zum Nest kommen lassen. Sie beißen sich in die Flügel, in den Hals, in den Po, ja, selbst in die Bürzeldrüse. Schon stehen sie wieder Brust an Brust, schieben sich hin und her. Paul ist stärker, Peter überkugelt sich, fasst zu, hält einige Federn im Schnabel.

Das war vor einer Stunde. Jetzt sitzen sie wieder im Nest bzw. vor dem Nest. So ist das Leben. Karla gründelt noch in der Wiese nach einigen Würmern und watschelt dann zu ihrem Nest in der Dornenhecke.

Das war gestern. Heute stehen den Leuten auf dem Hügel die Federn zu Berge. Was ist passiert? Karla sieht es mit Schadenfreude. Bereits in den Morgenstunden hat Friederike ihr Nest verlassen und schwimmt seit einigen Stunden mit ihren Liebhabern im Teich herum. Will sie nicht mehr zu ihren Eiern, will sie nicht weiter brüten? Friederike muss wissen, was los ist. Sie steht auf, deckt ihre Eier mit Gras und Federn zu wie immer, wenn sie eine Lauf- Schwimm- und Fresspause einlegt und watschelt in Richtung Hügel. Oben angekommen trifft sie auf zwei Eier, die vor dem Nest liegen. Beide sind an der Spitze geöffnet. Nichts ist mehr in ihnen, kein Eiweiß und kein Eigelb, nur noch Schalen. Was ist mit dem Nest? Mit ihren Entenaugen schaut sie und schaut, dreht den Kopf nach rechts und wieder nach links, aber, was sie sieht, bleibt gleich: nur zwei Eier liegen da, keine 20. Da, hinter dem Nest zum Wald hin liegen noch weitere Eierschalen. Das muss sie klären. Dort, wo die meisten Eier ein Loch zeigen, an der Spitze, da erkennt sie neben dem großen Loch auf jeder Seite ein kleines Loch. Jetzt weiß sie, hier war ein Räuber am Werk, einer von der anderen Sorte, die keine Schnäbel hat, sondern ein weiches Maul mit vielen weißen und spitzen Zähnen darin. Sie hatte schon erfahren, wie gefährlich diese Tiere aus dem Wald sind. Erst vor 4 Wochen war ein rot-braunes Tier mit einem langen buschigen Schwanz in der Morgendämmerung aufgetaucht und hatte ihre Nachbarn, zwei dicke Streicherenten, besucht. Beide waren gerade beim Liebesakt und hatten keine Zeit für den Besuch. Dieses Tier hat dann ihre Nachbarin einfach gepackt und mit in den Wald genommen. Von ihrem Mann hat sie dann auch nichts mehr gesehen und gehört. So ähnlich muss es mit den Eiern gewesen sein. Eines dieser bösen Zahntiere hatte wohl die Eier gepackt und in den Wald getragen oder schon am Nest aufgebissen und ausgeschlürft. Sie ist schockiert. Das hatte sie der Blonden nicht gewünscht. Wo waren nur ihre Liebhaber gewesen, diese Schlappschwänze, diese Angeber mit ihren leuchtenden Köpfen?! Aber diese Friederike findet das wohl nicht so, sie hat ihnen nicht den Laufpass gegeben, die beiden dürfen ihr weiter den Hof machen. Karla schüttelt ihr Gefieder: die Welt, die Welt... Nach einem kurzen Planschbad wackelt sie zur Güllegrube, wo immer einige Körner liegen, füllt ihren Kropf, nimmt einen Schluck Wasser aus der Pfütze und setzt sich wieder auf ihr Nest.

Das war gestern. Heute bietet sich mir beim Frühstück ein ganz anderes Bild. Friederike liegt auf der Wiese und schläft und neben ihr liegen die beiden Erpel. Einige Meter abseits liegt die dunkle Karla, scheinbar ganz ruhig. Was soll das? Macht sie Ferien von ihrem Brutgeschäft? Da stimmt doch etwas nicht. Nach einer Stunde liegt sie noch immer da.

Was ist passiert? Ein Schicksalsschlag. Warum? Keiner kann ihr eine Schuld zurechnen. Es war die Grausamkeit der Welt. Ohne Schutz mußt sie damit rechnen. Was hatte es genutzt, dass sie ihr Nest im Schutze einer Dornenhecke angelegt hatte, dass sie sich nicht von gierigen Männern hatte ablenken lassen, dass sie sich nur um ihre Eier gekümmert hatte? Das Raubtier hatte in der Nacht auf einen Schlag alle Eier aus ihrem Nest geholt. Jetzt war sie so arm wie die blonde Friederike oder noch ärmer, denn die hatte immer noch ihre beiden Liebhaber. Sie aber lag allein auf der Wiese und nannte nichts mehr ihr Eigen.

Das war vorgestern und gestern. Heute ist wieder Bewegung in die Gesellschaft gekommen. Die beiden Erpel stehen wieder Brust an Brust, beißen und reißen sich die Federn vom Leib. Friederike läuft über den Hof, verschwindet in der Buchsbaumhecke, sucht unter den Rhododendronsträuchern, wagt sich sogar hinaus auf die Autostraße. Sie sucht einen neuen Platz für ein neues Netz, und bald sind wieder beide Erpel hinter ihr.

Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, der beginnende Aprilregen mischt sich mit Schneeflocken, die auf die blühenden Narzissen und Forsythien herab tanzen und der beginnende Tag verspricht nichts Gutes .

Das war gestern. Heute frage ich mich wieder und noch immer, was wird noch alles passieren und wohin treibt die Welt mit ihren Geschöpfen?

-"Eine lustige Geschichte."

-" die Hoxfelder Entengeschichte beschreibt die harte Realität in der
Tierwelt. Ist schon etwas vergleichbar mit der Menschenwelt, oder nicht?
Eifersüchteleien, Neid und Missgunst begleiten uns ja auch. Wie gut,
dass wir den Verstand mitbekommen haben..."

Inzwischen haben wir den Verdacht, dass wir in Hoxfeld stymphalische Vögel beherbergen. Eine schreckliche Sache. Stymphalos ist eine altgriechische Stadt in NO-Arkadien am Stymphalischen See. Im griech. Mythos erschossen die stymphalischen Vögel mit ihren Federn Menschen. Sie wurden gottseidank von Herakles verjagt und getötet. Was steht uns noch ins Haus?

-"die sache mit den stymphalischen hühnern wäre also, christa seis gedankt, nun geklärt.
nicht geklärt ist für mich die frage, wie es mit den enten in hoxfeld weitergegangen ist.
haben sie sich nun die federn ausgerupft und als pfeile gegeneinander abgeschossen?
oder verhalten sich enten da anders?
gibt es trotz aller auseinandersetzungen nun nachwuchs?
und wenn es nachwuchs gibt, wer ist der vater?
wissen die enten das überhaupt?
interessiert das überhaupt irgendwen?
wissen die enten, welche eier von ihnen sind?
brüten sie auch andere aus?
schließen menschen von tieren auf sich selbst?
ist das richtig?
sind menschen anders?
genug der fragen."

Meine Bienchen fliegen so fleißig, dass ich schon 40 Pfund Honig ernten konnte. Der Garten wuchert grün über meine Erdbeeren und Kartoffeln. Die neun Schafe weiden friedlich auf der Obstweide. Unsere beiden schwarzen Hühner haben sich ein neues Nest gesucht für ihre Eier. Das frische Heu duftet durchs Haus. Unsere Katzen fangen leider immer wieder ein Vögelchen. Allen geht es gut; nur unsere beiden Enten sitzen mit ihren gerupften Liebhabern recht unglücklich hinterm Haus, da auch ihr 2. Versuch, Eier auszubrüten, fehl geschlagen ist. Und der Grund? Kein Ei war befruchtet. Und welche Lehre ziehen wir aus all dem?

  

 

2.  

Vor langer, langer Zeit begab es sich...

Lisbeth

Lisbeth ist verheiratet.
Lisbeth ist schwanger.
Lisbeth wurde nie aufgeklärt.

Sie weiß nicht, seit wann sie schwanger.

Eines Abends hat Lisbeth Leibschmerzen. Sie geht mit einer Wärmedecke ins Bett.

Die Nacht geht vorüber.
Am nächsten Morgen hat Lisbeth noch stärkere Leibschmerzen.
Sie geht auf das Plumpsklo in der Tenne. Sie drückt und drückt und drückt. Nichts kommt.

Plötzlich fühlt Lisbeth etwas Warmes zwischen den Beinen. Sie fühlt mit den Fingern, was es ist. Sieht Blut.

Sie ruft ihren Mann Bernhard. Bernhard ist ratlos. Er rennt zu seiner Mutter, die bettlägerig ist.

Die schreit: "Lisbeth, komm sofort vom Klo, sonst verlierst du das Kind. Schnell, eine Hebamme."

Die Hebamme kommt

Sie nennen das Mädchen Maria.

 

 

 

Luis-Geschichten

I.

Felix

Es war Frühling in Hoxfeld. Der dunkle Wald trug bereits einen Schleier aus zartem Grün. Die Blüten der Kirschbäume leuchteten. Im Teich flitzten die Kaulquappen umher und der Erpel schoß pfeifend über die Wasserfläche und rief "Bin ich nicht schön?". Das hatte er den kleinen, bunten Singvögeln abgeschaut. Aus seinem Schnabel kam aber nur ein mattes Schnarren. Wenn er jedoch seinen blaugrün schillernden Kopf hob, dann wußten alle, der Erpel hatte sein schönstes Gewand angelegt, er ging auf Brautschau.
Der Weg zum Wald hinter dem Teich war mit gelben Löwenzahnblüten gepflastert und das gesprenkelte Habichthuhn pickte die Insekten von den Blüten. Plötzlich rannte es los und verschwand hinter dem Bienenhaus im Graben. Das braune Huhn zog sich auf den Komposthaufen zurück. Einen Augenblick schien es, als ob alle Vögel verstummt wären. Ich hielt den Atem an.

Auf der Wiese erschien eine seltsame Prozession. Vorneweg ging ein großer Mann mit einem großen Karton, dann folgte ein 5 jähriger Junge mit einer Schüppe in den Händen und dahinter ging eine Frau, die ein kleines Mädchen an den Händen hielt und einen Spaten trug. Sie gingen geradewegs auf den Wald zu. Im Wald bedeckte noch eine dicke, braune Schicht aus Buchen- und Eichenblätter den Boden. Dazwischen hatten sich kleine grüne Inseln aus Sauerklee und Buschwindröschen gebildet. Vereinzelt leuchtete noch eine gelbe Blüte des Scharbockskrautes aus den weißgepunkteten grünen Inseln, aber das waren Nachzügler. Am Ufer des kleinen Waldbaches zeigten sich schon viele blaue Veilchen. Die Prozession kümmerte sich nicht um die Waldblümchen, sie zog tiefer in den Wald, vorbei an den Knochen des alten Tierfriedhofes. Wußten sie, daß hier viele kleine Schafe und auch Vögel lagen, die durch irgendein Unglück gestorben waren ? Sie zogen auch an der Stelle vorbei, an der die 18 Jahre alte Katze Nina lag. Sie gingen bis zu dem alten, wilden Apfelbaum. Hier stellte der Mann die Kiste ab, nahm den Spaten und begann ein Loch zu graben. Er nickte und sagte: "Hier geht es. Das ist der richtige Platz." Er winkte dem kleinen Jungen zu, und der begann jetzt kräftig und heftig zu graben. Kaum hatte er zwei Spaten tief gegraben, da sammelte sich Wasser in der Grube und es stieg ein säuerlich-fauler Geruch in die Nase. Luis, so war der Name des fleißigen Waldarbeiters, war auf eine Wasserader gestoßen. "Papa, da kommt Wasser, können wir denn jetzt...." "Ja klar, das ist nicht schlimm, nur ein kleines Bad, das wird ein kühles, angenehmes Plätzchen für Felix." Luis riß mit seiner Schüppe ein tiefes Loch in den moorigen Waldboden. Die Frau rief: " Maleen, komm, wir holen Gras, das können wir als Decke und Unterlage nehmen." Als sie wiederkamen, lag der weiße Felix in der Grube, ein blaues Auge war weit geöffnet und schaute die Menschengesellschaft an. Da warf Maleen zwei Hände voll gelber Löwenzahnblüten auf seinen Kopf und dann noch grüne Grashalme und immer mehr Grün bedeckte den Körper. Bald die langen weißen Ohren und die langen Beinchen bedeckt . Als der Fotograf kam, um ein Erinnerungsfoto von Felix zu machen, konnte er kaum das weiße Fell des Kaninchens erkennen. Dann standen alle still an dem Grab und nur eine Schwarzdrossel flog auf und flüchtete schreiend hinaus auf das Feld. Nachdem das Grab geschlossen worden war, meinte Luis: "Wir müssen das Grab noch einzäunen und als Erkennungszeichen nehmen wir ein großes F." Das Einzäunen mit Ästen war einfach, aber ein großes F aus Ästen herzustellen war schon schwieriger. Nachdem alles so hergerichtet worden war, wie Luis es wollte - schließlich war Felix sein Hausfreund gewesen - verließen alle den Wald und fuhren mit ihrem Auto weg.

Seitdem höre ich täglich das Pochen eines Spechtes aus der Richtung des wilden Apfelbaumes und ich denke dann, jetzt gehört auch Felix zum Geisterwald von Hoxfeld und wird in den dunklen Winternächten als weißes Häschen durch den Wald spuken.

II.

Und es war wüst und leer.

Als ich die Augen schloss, um den Anfang zu denken, sah ich unterschiedliche Bilder. Das Vor und Dahinter , das Innen und Außen, das Gekritzel und den künstlerischen Entwurf. Anfang oder Ende.

SO oder SO

Würde ich meine Augen öffnen und sähe nichts, kein Licht, keine Farben und hörte nichts, kein Rauschen in den Bäumen, keinen Vogelgesang und auch kein Geräusch von Automotoren, dann müßte ich glauben, es gäbe keine Welt und ich stände oder läge ganz allein oder ich wäre einfach nur so, irgendwo und irgendwie. Das wäre wohl ganz schrecklich, denn ich könnte nicht sagen, die Erde ist wüst und leer, wie es in der Bibel steht. Im Irgendwo und -wie gibt es keine Erde, die wüst ist und leer.

Also muß ich die Geschichte vom lieben Gott nehmen, der am Anfang Himmel und Erde schuf und dann Tag und Nacht und dann allmählich all das, was wir wahrnehmen, wenn wir unsere Augen öffnen, d.h. wir sehen, hören und wissen viel mehr als Gott erschuf, aber das ist eine andere Sache. Der liebe Gott arbeitete sechs Tage daran. Das ging recht schnell. Eigentlich so schnell, dass ich es nicht glauben kann, auch wenn es in der Bibel so steht. Dazu kommt auch noch mein Problem, dass ich beim Öffnen der Augen noch nie einen Gott gesehen habe.

Vielleicht probiere ich es mit einer anderen Geschichte. In Afrika und Asien erzählen die Menschen von einem großen Ei, das auf der Erde lag oder auf einer großen schlammigen Flut schwamm. Dieses Ei soll aus einem kleinen Korn entstanden sein, das durch Vibrationen im siebener Rhythmus anschwoll zu einem großen Ei. In diesem Ei befanden sich zwei Wesen, die ursprünglich den Namen Ying und Yang trugen. Yang war der leichtere Teil und Yang der schwerere. Diese Wesen wurden schließlich befreit, als das Ei durch siebenfache Vibrationen zerbrach. Da standen dann ein Junge und ein Mädchen vor den zerbrochenen Schalen.

Kam dann das große Huhn und pickte die Schalen auf ?
Oder verteidigten die Schildkröte oder das Krokodil, die das Ei gelegt hatten, ihre Nachkommen ?

Du siehst, die Geschichte ist noch nicht endgültig erzählt. Deshalb will ich die Geschichte ganz anders erzählen, so wie ich sie erlebt habe.

Ich überschlage den Anfang vom Anfang und das Irgendwo und Irgendwie. Ich beginne mit Luis, der eines Tages beschloss, viele kleine weiße Freunde zu erschaffen. Er hatte Glück. Als er den Gedanken fasste, hatte es gerade geschneit. Er rollte kleine Schneebälle und rollte und rollte.Er arbeitete zwei volle Tage. Dann lagen viele große Kugeln auf der Wiese. Da sagte Luis, jetzt wollen wir eine große Figur machen, das ist der Vater und dann eine kleinere, das ist die Mutter und danach viele kleine, das sind die Kinder und danach noch andere , das sind Verwandte und Bekannte. So erschaffe ich die heilige Familie und ihre Begleiter. Damit sie auch recht menschlich aussähen, suchte er Steine und Stöcke und Hüte und verteilte die Teile entsprechend ihrer Stellung im Reigen der Menschenähnlichen. Und so standen alsbald elf Wesen auf der Wiese.

Und dann stellte er sich stolz hinter seine Geschöpfe. Und die Fotografen und Zeitungsreporter kamen aus aller Welt und begutachteten die neuen Meisterwerke aus Schnee und schrieben in ihren Zeitungen und verkündeten in ihren Fernsehprogrammen, hier fand Schöpfung und Geburt statt, hier vollbrachte der Mensch eine echte kreative Leistung. Es lebe der Künstler. Aber keiner schrieb vom Kreislauf der Schöpfung. Werden und Vergehen gehörten zusammen, das hatte der Schöpfungakt von Hoxfeld gezeigt.

Gestern das Nichts, heute das Etwas und morgen wieder das Nichts. Es lebe Luis, der es dem Philosophen zeigte.

 

III.

Die große flut

Seit vielen tage regnete es.

Das wasser kam vom himmel herunter,
das wasser kam aus dem boden,
das wasser kam von der angrenzenden wiese.

Es strömte durch einen graben der obstwiese, riß gelbe äpfel mit sich fort, nahm zweige, blätter und gras und vermischte alles zu einem großen haufen. Dieser haufen lag jetzt vor dem rohr und versperrte den durchgang. Das wasser drängte, wollte strömen unter der brücke zur anderen seite, zum schafstall, zum ententeich. Es ging nicht, der haufen wurde größer und fester. Da stieg das wasser in die höhe und verbreitete sich über die weide.

Die schafe riefen: wir können nicht schwimmen, wer hilft uns, wir versinken im schlamm. Sieh unsere hufe, die sinken ein bis zum knöchel. Sind wir denn moortiere? Nein, wir laufen am liebsten auf steinigem boden. - Wo bleibt denn der luis ? der kann uns helfen.

Erst vor wenigen tagen hatte luis mit seinem vater und seinem opa eine rinne in der mitte des grabens ausgestochen. Immer wieder hatte er die grassoden an den rändern hochgezogen. Unermüdlich hatte er seine schuffel in den boden geschlagen und gras und erde hochgezerrt. Es war keine leichte arbeit. Der Opa hatte seinen spaten nach einiger zeit an matthias weitergegeben, er war müde. Der einzige, der ohne pause arbeitete, war luis. Es war eine langer graben bis zur ersten eisenbrücke, bis zum rohr, durch das das wasser in den ententeich strömte. Besonders das grabenstück hinter dem schafstall mit den sträuchern und bäumen war schwer zu reinigen. Zuerst zersägte Opa einen baum, so daß platz zum arbeiten entstand. Die zweige und teile des baumes zogen sie über das feld bis zum waldrand, wo schon die abgebrochenen zweige der obstbäume lagerten.

Das alles hatte Maleen beobachtet, die noch so klein war, daß sie nicht mithelfen konnte. Aber sie stand am rande des grabens und zeigte mit ihrem kleinen finger auf die löcher, die luis mit seiner schuffel schlug und sie freute sich, wenn das wasser wieder strömte und den sand und die blätter fortriß.

Das war schon einige Tage her. Seitdem aber hatte es weiter geregnet - am tage und in der nacht. Plötzlich sprudelten überall auf der wiese quellen. Aus jedem mäuseloch kam das wasser, zwischen den steinen des hofes drängte es hervor, vom feld strömte es über die kleine strasse und schließlich kam es aus dem Wald.

Die schafe hatten ja lange beine, sie konnten nicht so leicht ertrinken, aber die vielen roten wegschnecken versuchten verzweifelt einen ast oder auch nur einen grashalm zu erreichen. Sie riefen: wo bleibt denn der luis mit seiner schüppe ? Wir finden kein trockenes plätzchen mehr. Wer hilft uns ?

Das hörte der Opa.
Und da Luis nicht erreichbar war, so nahm er die schüppe, zog hohe stiefel an und watete durch das wasser im wald bis zu der stellle, wo der bach aus dem ententeich auf den bach aus dem wald traf.

Dort, wo das wasser durch ein großes rohr in einen noch größeren graben fließen wollte, um dann in die Aa und weiter in die Nordsee zu kommen. Hier gab es großen streit zwischen den beiden bächen, jeder bach wollte der schnellere sein. Der waldbach baute aus zweigen und blättern einen großen wall. „Du siehst, ich bin der stärkere,“ schrie er, „laß mich durch.“ „Siehst du denn nicht, was du anrichtest ? rief der entenbach, „die hühner, die schafe und die vielen roten wegschnecken werden ertrinken, wenn du nicht nachgibst.“ Aber der waldbach dachte gar nicht daran nachzugeben, er schwemmte noch größere äste heran und noch mehr blätter von den eichen und buchen. Das wasser stieg und stieg, selbst das bienenhaus stand wie ein stelzenhaus mitten in einem see. - Was die bienen wohl dachten ?

Als die not am größsten war, watete ein starker mann mit einer großen stange durch das wasser über das feld, über die wiese bis in den wald. Dort machte er vor dem großen wall halt und stieß seine stange immer wieder in den haufen aus zweigen und blättern und achtete nicht auf das jammern des waldbaches.

Plötzlich begann das wasser sich an der stelle in kreisen immer schneller zu drehen, es entstand ein tiefes loch , in dem es gurgelte und zischte und dann verschwanden plötzlich alle zweige und blätter in diesem loch und beide bäche strömten gemeinsam durch das große rohr, und es ging gut, es ging sogar sehr gut, so daß in kurzer zeit der wasserspiegel wieder sank. Die mauselochquellen versiegten, das wasser strömte zurück in den ententeich und in den graben. Nur einige kleine pfützen in der wiese blieben, und in ihnen schnabbelten die enten und suchten nach den würmern, die ertrunken waren.

Auf einem baum unter dem dach aber saßen Ali und Mieze, die beiden katzen, und warteten auf den großen zauberer, der mit seinem zauberstab die große flut aufgehalten hatte. Die roten wegschnecken, die nicht so gut sehen konnten und von der wasserflut noch völlig erschöpft waren, wisperten „Seht ihr, das war wieder der Luis, der hat uns im allerletzten augenblick mal wieder errettet hat.“

 

IV.

Vom tapferen Piratenschreck

Schade, dachte er, daß Luis mich nicht gesehen hat. Ich habe tapfer gekämpft. Immer wieder griffen die Scharen der Schwarzen an, besonders gefährlich waren die mit der metallisch schimmernden Rüstung, aber auch die mit der gelben Spitze im Gesicht waren tückisch. Hatte er nur einige Sekunden in den Himmel zu den weißen Flugzeugen geschaut und schon saßen sie auf seinen Armen und hackten auf seine Laserstreifen ein und suchten sie zu zerstören. Schrecklich. Wenn er aber seine Laserstreifen und vor allem seine Schnellfeuerwaffe durch die Luft wirbelte, dann wagte keiner dieser schwarzen Piraten anzugreifen. In gebührendem Abstand saßen sie auf den Pfählen und Zäunen und äugten zu ihm herüber. Er mußte es Luis noch sagen, wie dankbar er war, daß Luis ihm seine außergewöhnliche Schnellfeuerpistole gegeben hatte.

Aber jetzt war die Schlacht geschlagen. Seine rote Hose war ausgebleicht und an seinem Hemd fehlten einige Knöpfe. Die Hälfte der Laserstreifen war beschädigt und die Mündung der grün-orangenen Pistole war nach unten gerutscht. Wochen hatte er im Kirschbaum gestanden. Jetzt gab es keine Kirschen mehr zu verteidigen. Nur zum Spaß stand er jetzt mit seinen gespreizten Beinen auf dem Rasen und funkelte lustig in der Sonne. Keiner fürchtet sich vor ihm. Mit dem Grauschnäpper und der Bachstelze hatte er sogar Freundschaft geschlossen. Sie ruhten sich auf seinen Schultern aus, wenn sie mit Insekten zurückkamen zu ihrem Nest über der Haustür und unter dem Dach.

Ja, ja, die Heldenzeit war vorbei. Gestern hatte der Wind ihn vornüber geworfen. Er war mit seinem Gesicht und mit seiner Waffe auf das harte Pflaster geprallt. Als er wieder stand, sah er, daß die orangene Spritzdüse seiner Pistole zersplittert war. Nun ja, jetzt konnte er nicht mehr ernsthaft kämpfen. Jetzt war er nur noch eine lustige Vogelscheuche. - Oder würde Luis ihm aus seiner Waffenkammer eine neue Pistole heraussuchen ? Oder eine andere schlagkräftigere Waffe, die er auch gegen den Habicht einsetzen konnte. Oder wie wäre es, wenn er gegen den Fuchs antreten würde ? Bei diesen Gedanken schlug sein Herz immer schneller und er dachte bei sich, darüber muß ich unbedingt mit Luis sprechen. Vielleicht hat Luis schon einen Plan ?!
Da aber kam der Opa, packte ihn und schleppte ihn auf den Heuboden.

Hier steht er nun und wartet auf das nächste Jahr und auf seinen Luis.