5. Der Kampf mit den Regengöttern bei der Überquerung der hohen Pässe

Sarchu-Camp

Die Geschichte vom gestrigen Tag hätte auch anders erzählt werden können. Nicht erwähnt wurden unsere Leiden, die schmerzenden Knie, der keuchende Atem, das klopfende Herz, die Kopfschmerzen von der Überanstrengung. Nicht erwähnt wurde der Schweiß, die Nackenschmerzen, Folgen der Anstrengung, der Höhe, der dünnen sauerstoffarmen Luft. Am Abend die Erschöpfung, aber der Schlaf stellt sich nicht ein.
Heute liegt nur eine kurze Strecke vor uns, ein Katzensprung von 77 km über den Baralacha-La, 4880 m hoch. Der Himmel ist bedeckt. Das Tal, breit ausladend, eine Trümmerlandschaft mit großen Steinhügeln. Unter einem dieser Steinhaufen liegt ein ganzes Dorf, erfahren wir. Je höher wir kommen, umso dichter wird die Nebelwand, umso kälter die Luft. Hier oben wohnen keine Menschen mehr. Hinter dem Nebel können wir die große Steinwüste nur noch ahnen. Eiskalt pfeift der Wind, öffnet zeitweise die Wolkenwand. Der See vor dem Pass spiegelt keinen Himmel, keine Berge. Auf dem Pass Reste einer Mauer. Gebetsfahnen flattern im Wind. Auf einem Stein steht "Jesus loves all". Darunter zwischen den Steinen stehen Blumen, violette, rote, gelbe, weiße Dolden. Erst weiter abwärts tierisches Leben, Murmeltiere. In der Landschaft verteilt wie Schafe schwarze Teertonnen, dann einige Zelte von Tibetern, die hier Getränke und Essen anbieten. Trostlos, selbst die üblichen Gebetsfahnen fehlen und die Steinhaufen.


Bei Sarchu

Auf der anderen Seite Lichtblicke, Hoffnung, etwas Sonne, Gebirgshänge mit zarten Farben, braun – gelb in allen Schattierungen wie hingetuscht, in der Ebene zartes Grün und immer wieder wechseln die Farbbilder von Augenblick zu Augenblick. 4450 m. Winzige Zelte vor uns, Zeltlager und noch welche, dann ein Tschörten und dann unser Zeltlager. Zum Fluß hin ziehen große Ziegenherden, am Berghang eine Schafherde. Ein Dutzend Pferde, vielleicht zurückgekehrt von einem Trekking. Wir bekommen einen heißen Tee und machen uns auf zu einer kleinen Wanderung. Die Sonne ist verschwunden. Dunkle Wolken. Es beginnt zu regnen. Am Abend liegen wir in unseren Schlafsäcken und wissen, es ist anders als uns versprochen, auch hinter den Übergängen, in den oberen Regionen der Geister fällt Regen. Enttäuschung.

Die Pässe: Baralacha 4880 m, vom Bhaga- ins Lingti Chu-Tal, Lachlung 5060 m, Übergang ins Zara Chu-Tal, Taglang 5360 m, Zugang zum Industal, 111 km vor Leh

Es regnet die ganze Nacht. Die Höhe und der trommelnde Regen auf die Zeltwände und das harte Bett verhindern den Schlaf. Auch am Morgen regnet es noch. Kein warmes Wasser, die Toilettenzelte 100 m entfernt, kein heißer Tee, kein Toastbrot, im Lunchpaket verschimmeltes Brot.
6 Uhr starten wir. Dass wir nach 13 1/2 Stunden in Leh heil ankommen, verdanken wir wohl unserem Fahrer und seinen Gebeten zu Durga, Shiva und Hanuman, deren Altar er auf der Ablage seines Autos aufgebaut hat. Vor dem Start berührt er seine Götter und ein glückbringendes Schmuckband mit den Fingern und überträgt ihre Kräfte, indem er seinen Mund und seine Schläfen berührt. Dann stellt er die Kassette mit dem Gesang an Lord Vishnu an. Darauf fährt er los. Für die ersten 150 km brauchen wir 10 Stunden. Nachdem wir den zweiten Paß von 4498 m (?) überwunden haben, geht es plötzlich nicht mehr weiter. An einer Kontrollstelle heißt es, die Straße ist geschlossen und wird heute nicht mehr geöffnet. Ein Erdrutsch und Schnee machen die Weiterfahrt unmöglich. Trotzdem ist die Stimmung gut. Die Sonne scheint heiß und wir überlegen, ob wir einen Spaziergang machen sollen. Plötzlich melden die Soldaten, die Autos dürfen fahren. Bald kommt das Hindernis in Sicht.


Die Straße wird überspült und mitten im Fluss stehen zwei Autos. Die Fahrer prüfen die Wassertiefe, versuchen große Steine zu bewegen, diskutieren, warten. Wir sitzen in einem Sumo mit Zweiradantrieb, d.h. wir werden Schwierigkeiten haben. Aber unser Fahrer weiß, wie er Hilfe bekommen kann. Er spricht ein Gebet, berührt die Götterfiguren auf der Ablage, gibt Vollgas und das Auto schaukelt und springt über die Steine, rauscht durchs hohetWasser und erreicht trockenen Boden. Wir atmen auf und klatschen Beifall. Danach wird die Landschaft malerisch, pittoresk. Hunderte von Hexenkaminen erinnern uns an Kappadokien.


Farben im Fels

Dazu kommen wunderbare Verfärbungen der Berghänge. In der Ferne immer wieder schneebedeckte Gipfel. Solche Landschaftsbilder haben wir in Filmen über die Mongolei gesehen. 40 km fahren wir durch ein breites, faszinierende Tal, 4500 m hoch.


Gebetsfahnen auf dem Pass Taglang-La, 5360 m hoch

Dann stehen wir auf dem Taglang-La. In dieser Höhe steht auf dem Paß ein Hindutempel, 5360 m hoch, dort geht unser Fahrer zuerst hin und wirft sich auf den Boden, um den Göttern zu danken, dass wir heil bis hierher durchgekommen sind. Vielleicht hat er nicht zum richtigen Gott gebetet, jedenfalls als wir weiterfahren, hören wir nach kurzer Zeit ein Geräusch unter dem Auto, ein Federbein ist gebrochen. Das sei nicht schlimm, meint unser Fahrer, nachdem er die Federung abmontiert hat, es gehe auch ohne, wir hätten ja noch die Blattfedern. Das Bein werde er erst wieder in Delhi erneuern.


Ein Reliquienschrein (Tschörten bzw. Stupa)

Auf unserer Fahrt hinunter ins Industal passieren wir mehrmals Stellen, die gerade geräumt wurden von Schnee und Schlamm. Der Bagger räumt und schon können wieder einige Autos vorbei. Die Straße ist überzogen mit glitschigem Schlamm. Wir kommen durch. Wir sind in Ladakh. Überrascht werden wir einmal von dem vielen Wasser, der Fluss hat Hochwasser, die Wiesen und z.T. die Straßen sind überschwemmt. Dabei sollte es hier trocken sein, der Monsun nicht bis hierher gelangen.

Die 2. Überraschung, das Industal ist sehr grün.

Die 3. Überraschung, Leh ist eine große Stadt mit modernen Zementbauten und westlich gekleideten Menschen. Abends, als wir im Stadthotel Kanglachen sind, beginnt es zu regnen. Wie anders kommt es, als wir gedacht.