Auf dem Rohtang-Pass

Himachal Pradesh II, Oktober 2005

1. Teil

Bereits im Juli-August des Jahres 2000 hatten wir eine Reise durch den indischen Bundesstaat Himachal Pradesh nach Ladakh gemacht und waren im April 2004 im westlichen und östlichen Teil von Himachal gewesen. Diesmal hatten wir uns das abgelegene Spitital an der Grenze zu Tibet ausgesucht. Geplant war eine Rundreise durchs Tal des Sutlej-River, das wir bereits kannten, ins buddhistische Spiti-Tal und durch Lahaul über zwei hohe Pässe und über Manali-Kullu ins Apple-Valley zurück.

Dann erhielten wir kurz vor dem Start die Nachricht, dass acht Brücken des Sutlej-River durch einen Dammbruch in Tibet weggerissen worden seien. Also konnten wir die geplante Tour nicht mehr durchführen. Wir mussten die nördliche Route über die hohen Pässe nehmen durch Lahaul ins Spiti-Tal hinein und wieder hinaus.

Karte der ursprünglich geplanten Rundtour Kullu - Lahaul - Spiti - Kinnaur

01.10. SA, Hinflug Delhi

Im Flugzeug treffen wir auf einen indischen Informatiker und einen Lehrer aus der ehemaligen DDR. Letzterer reist mit einer 15köpfigen Gruppe nach Bhutan. Den Preis von 5500 € findet er zwar happig, aber die Reise in das abgelegene, aber teure Bhutan reizt ihn überaus. Er erzählt, wie er als Jugendlicher in überfüllten Zügen nach Bukarest gereist ist. Seit der Öffnung des „eisernen Vorhangs“ fährt er „natürlich“ in die weite Welt. Selbst die  Gefahren durch Guerillaüberfälle halten ihn nicht ab, nach Pakistan und Nepal zu reisen. Es sei doch ungefährlich, man müsse den Maoisten nur eine Touristensteuer zahlen.

Nach der Ankunft nachts in Delhi (00:35 Uhr) Transfer zum Hotel Ashok Country Resort
Unser Reiseagent hat einen Boy geschickt, der den per Internet ausgehandelten Reisepreis in Rupies einkassieren soll. Das ist ein weiterer Versuch, den sehr knapp kalkulierten Tourpreis um 80€ zu erhöhen. Das finden wir sehr ärgerlich. Erst am nächsten Morgen nach einem Telefongespräch ist er mit der vereinbarten Zahlung in Dollar einverstanden.


Kinder in Comic, 4587 m hoch

02. 10. SO  Delhi - Chandigarh - Shoja

In den Zeitungen weisen Regierungsstellen und Firmen mit Bildern und Zitaten auf Gandhis 135. Geburtstag hin.

Gandhis Traum von Indien

„Ein Indien, in dem die Ärmsten fühlen sollen, dass dies ihr Land ist, in dem sie eine wichtige Stimme zu dessen Gestaltung haben; ein Indien, in dem es nicht eine hohe und eine niedere Klasse gibt; ein Indien, in dem alle Gemeinschaften in vollkommener Harmonie leben werden, in diesem Indien ist kein Platz für den Fluch der Unberührbarkeit und der Trunksucht. Sowohl Männer wie Frauen sollen die gleichen Rechte haben. Keiner wird jemanden ausbeuten und keiner wird ausgebeutet werden.“

Zu dieser feierlichen Gelegenheit wiederholen wir unser Versprechen und arbeiten Hand in Hand um seinen Indientraum zu verwirklichen.

Die Kinder haben schulfrei. Ein Satiriker lässt ein Schulkind vorschlagen, den Geburtstag Gandhis jedes Vierteljahr zu feiern, dann gäbe es viele freie Tage.


Vormittags Flug nach Chandigarh. Fahrt von dort über Shimla, den Jalori-Pass (3220 m) nach Shoja, eine mörderische Fahrt von 14-24 Uhr.

Übernachtung im Banjara Retreat

Einige wenige LKW`s mit Äpfelsäcken aus dem Kullu-Tal begegnen uns auf der schmalen, unbefestigten Straße. Abseits der Dörfer schlängelt sich die Straße höher und höher. Seit dem Imbiss im Flugzeug haben wir nichts mehr gegessen. Aus der angeblich 6stündigen Strecke wird eine 10stündige. Der Straßenzustand wird immer schlimmer. Erdrutsche, Schlamm Wasser, tiefe Fahrrinnen. Nur im Schwung schafft unser Toyota Qualis manche heiklen Stellen. Schließlich kriechen wir im ersten Gang. Von der Landschaft sehen wir nur ab und zu im Scheinwerferlicht riesige Tannenstämme. Seitwärts ahnen wir die tiefen Schluchten, besonders wenn sich über uns der Fels zu einem Dach schließt. Christa liegt meist autokrank auf den hinteren Sitzplätzen. Kopf- und Nackenschmerzen haben sich eingestellt. Wenn es ganz schlimm wird und wir unseren Fahrer nach der Ankunftszeit fragen, sagt er immer „next, next“. Er kann fast kein Englisch, so dass wir unsere Verständigungsversuche bald einstellen. Wir sehen keine Häuser mehr, sondern spüren nur noch Geröll und Schlaglöcher. Die Fahrt scheint kein Ende zu finden.

Irgendwann hält das Auto in der Dunkelheit und der Fahrer sagt Banjara-Camp. Es ist stockdunkel. Während der Fahrer den Berg hinunter klettert, sehen wir hinauf zu einem Sternenzelt, wie wir es noch nicht gesehen haben, ein funkelndes Dach, dicht besetzt mit leuchtenden Sternen. Nach längerer Zeit erscheint der Fahrer wieder. Wir haben inzwischen eine Taschenlampe heraus gekramt und folgen ihm einige hundert Meter den Berg hinab, bis vor uns plötzlich einige alte Häuser auftauchen.


Blick von Shoja auf die 6000er im Nordosten

Im grünen Himalaya

03. 10. MO  Shoja - Jalori-Pass  (3220 m)

Im kleinen Ort Shoja, der aus verschiedenen Häusergruppen am steilen Südhang besteht, wohnen etwa 150 Menschen. Wir wandern zum nahegelegenen religiösen Zentrum, wo eine kleiner, 50 cm hoher, steinerner Schrein steht, in der sich eine sitzende Figur befindet. Vor über 5000 Jahren habe ein Priester diesen Gott eingeladen hier seine Behausung zu wählen und die Bewohner und die Tiere zu beschützen. Dafür werden vor dem Tempelchen Opfergaben verbrannt.

Auch im Giebel der großen Häuser sind kleine Nischenhäuschen für die Dorfgötter. Vor zwei Jahren habe man einen neuen Holzturmtempel für den Gott errichtet. In einigen Tagen werde der Gott auf Tragestangen in fünf Tages bzw. Nachtmärschen zum Treffen der 330 Götter nach Kullu getragen, erklärt uns ein Englisch sprechender Lehrer des Ortes.

Im Gegensatz zu den Lehmhäusern in der nördlichen Bergwüste von Spiti und Ladakh ist hier sehr viel Holz in den Häusern verbaut worden und die Dächer sind nicht flach mit Reisig und Lehm bedeckt, sondern mit einem Giebeldach, auf dem große, schwere Steinplatten liegen.


Haus in Shoja

Die Leute  sind intensiv mit dem Trocknen von Gras auf den Dächern beschäftigt. Zwischen den Häusern liegen auf Planen Gerstenkörner und rotkörniger Weizen. Auf den schmalen Terrassenfeldern wachsen nach Erbsen und Kohl noch Knoblauch und etwas Mais, z.T. zwischen jungen Apfelbäumen. Ein Bauer trägt einen schweren hölzernen Pflug auf seiner Schulter, während seine Frau zwei Kühe als Zugtiere hinter ihm her treibt.

Im Winter, der die Bewohner drei Monate von der übrigen Welt abschließt, vergnügen sich die Leute mit Skiern im Wald und auf den Hängen. Der Schnee läge hier aber nicht so hoch wie in seiner Heimat, dem Pangi-Tal, sagt unser Guide. Dort seien die Häuser bis zum 3. Stock eingeschneit, 4-5 m hoch.

Am Nachmittag wandern wir vom Jalori-Pass aus durch immergrünen Eichenwald und über Wiesen zu den Ruinen der Festung Raghupur, ein Fort der Könige von Kullu. Nebelschwaden nehmen uns bald die Sicht in drei verschiedene Täler.


Auf der "Alm" oberhalb des Jalori-Passes

Steinhaufen mit einem kleinen Steinhäuschen für den Windgott und ein eingefriedeter niedriger Unterstand für den Schlangengott liegen auf der baumlosen Wiesenfläche. Löwenköpfe, Shivazacken, ein Topf und weiße Fahnen schmücken den Firstbalken, geflügelte Schlangen und Holzglocken den Querbalken. An der Stirnseite stehen hinter der Feuerstelle Sensen, eiserne Dreizacke und Türschlösser als Opfergaben für den Gott.

Die Ruinen des weitläufigen Forts weisen noch Befestigungen mit Wall, Graben, Mauer und Türmen auf. Im Innern finden sich Reste von Wohnungen, Zisternen und große Haufen von Eisenschlacken. Ein neuer Tempel weist durch Inschriften wie „x love y“ darauf hin, dass hier während des jährlichen Festes Heiratswillige ohne Erlaubnis der Eltern heiraten können. Im August treffen sich hier die Bewohner der Berge, opfern viele Schafe und Ziegen, um sie anschließend zu verzehren. In diesem Jahr hätten 25-30 Paare die Gelegenheit genutzt, sagt unser Guide.

Auf dem Rückweg treffen wir im Wald Gaddi-Schäfer mit 600 Schafen und Ziegen, die von den Sommerweiden kommend auf dem Weg zum südwestlich gelegenen Kangra-Tal sind, wo ihre Familien wohnen. Eine weitere Nomadengruppe sind die Gujar-Hirten, die mit Kind und Kegel und Pferden wandern und den Winter im Mandi-Distrikt verbringen.

04. 10. DI  Shoja – Manali (2.050 m) 

Banjar, der Hauptort des Tals, hat so enge Straßen, dass ein Durchkommen nur mit Hilfe von Polizisten möglich ist. Vor und hinter dem Ort wartet der Schwerlastverkehr auf Durchfahrt. Leider fahren wir an der Abzweigung nach Chaini vorbei und verpassen deshalb den imposanten Turmpalast des Thakur von Chaini.

Im breiten Tal von Kullu besuchen wir den alten Tempel von Bajaura und den Haupttempel des Ortes. Aber hier in Kullu werden wir auf dem Rückweg von Spiti noch einige Tage während des großen Götterfestes bleiben. (12.- 14.10.)

Der Name Kullu kommt von Kula-Anta-Pitha, „das Land, das das Ende der bewohnbaren Welt markiert“. Dies aber ist ein wenig zutreffender Name, da der Nord-Himalaya bereits in vorhistorischer Zeit von nicht-arischen Völkern besiedelt wurde. In den vedischen Schriften wird Kullu als Teil von Aryavarta, der Heimat der Arier, bezeichnet. Historiker dagegen nehmen eher das westliche Zentralasien bzw. die südrussischen Steppen als Herkunftsland der Arier an.

Nachmittags über eine gute Mautstraße (300 Rs) nach Manali. Die ehemalige Bergstadt ist zu einer lauten chaotischen Touristenstadt mit hunderten von Hotels verkommen. Beeindruckt sind wir von den Deodars, Riesenbäume, die seitwärts der Straße und oberhalb der Stadt stehen. Abends etwas Regen.


Im Blumengarten des Banon Resort

Manali auf unserer Reise nach Ladakh 2000

Teil 2: In der Bergwüste des Himalaya

Teil 3: Das Fest der Dorfgötter