Schreibwerkstatt 2006-II

 

Das Leben schreiben

 

Wir beschreiben, was wir wahrnehmen.

Wir probieren verschiedene sprachliche Formen.

Wir schulen uns dabei an Stil und Form literarischer Vorbilder.

 

Termine: 6 mal mittwochs (14tägig) 19.00 – 20.30 Uhr, 30.8./ 13.9./ 27.9.- Herbstpause - 25.10./ 8.11./ 22.11.

 

(Lebendige Worte – das Spiel mit der Sprache. Wir erfahren die Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme und probieren den Vortrag von verschiedenartigen Texten. Termine: mittwochs 19.00 – 20.30 Uhr, 6.9./ 20.9./25.10. - Herbstpause - 15.11.2006)

 

VHS Schreibwerkstatt 1

Vom Alltagsausdruck zur literarischen Form

 

  1. Einen optischen Eindruck formulieren

 

a) in Stichworten, b) in einem Satz, c) in kurzen Zeilen

 

  1. Eine Beschreibung entsprechend einer Form und nach vorgegebenen Regeln

 

Elfchen (Beschränkung auf elf Wörter):

- pro Zeile eine bestimmte Wortanzahl (1/2/3/4/1)

- eine bestimmte Silbenanzahl pro Zeile (1/2/3/4/1)

- inhaltliche Vorgaben (Farbwort, Bezugsobjekt, Ortsangabe, Ich-Aussage, Pointe)

 

Haiku (japanische Lyrikform): eine bestimmte Silbenanzahl pro Zeile (5/7/5). Eine andere Person fügt zwei weitere Zeilen hinzu (7/7). Es entsteht ein Renga.

Inhaltliche Vorgaben: ein Naturbild (Beschreibung einer Wandlung oder eines Gegensatzes)

 

  1. Schreiben nach vorgegebenen Texten, s.u. Weihnachtstexte

 

a)      Prosa: eine Zeitungsmeldung und der Beginn einer Geschichte

b)      Klassische Verse:

- Vierzeilige Versstrophe, evtl. mit Endreim

- Rhythmische Verse. Regelmäßiger Wechsel von unbetonten und  betonten Silben.

- Langzeilen mit 10 Silben (5hebig, zweite Silbe betont), s. Storm

- Kurzzeilen im Wechsel von 8 und 7 Silben (4hebig, erste Silbe betont),  s. Eichendorff


 

Schreibwerkstatt: literarische Texte zur Weihnachtszeit

 

 

Weihnachtabend, Storm: Gedichte ,Ausgabe 1885

 

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,

Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.

Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl

Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

 

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,

Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:

»Kauft, lieber Herr Ein magres Händchen hielt

Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

 

Ich schrak empor, und beim Laternenschein

Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;

Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,

Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.

 

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,

Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:

»Kauft, lieber Herr den Ruf ohn Unterlaß;

Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

 

Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,

Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?

Eh meine Hand zu meiner Börse kam,

Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

 

Doch als ich endlich war mit mir allein,

Erfaßte mich die Angst im Herzen so,

Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein

Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.

 

 

Weihnachten (Eichendorff: Gedichte (Ausgabe 1841))

 

            Markt und Straßen stehn verlassen,

            Still erleuchtet jedes Haus,

            Sinnend geh ich durch die Gassen,

            Alles sieht so festlich aus.

 

            An den Fenstern haben Frauen

            Buntes Spielzeug fromm geschmückt,

            Tausend Kindlein stehn und schauen,

            Sind so wunderstill beglückt.

 

            Und ich wandre aus den Mauern

            Bis hinaus ins freie Feld,

            Hehres Glänzen, heil'ges Schauern!

            Wie so weit und still die Welt!

 

            Sterne hoch die Kreise schlingen,

            Aus des Schnees Einsamkeit

            Steigt's wie wunderbares Singen -

            O du gnadenreiche Zeit!


 

 

Der Weihnachtsabend v. Chr. von Schmid

 

An dem heiligen Abend vor dem Weihnachtsfeste wanderte der arme Anton, ein holder Knabe von acht Jahren, noch durch die schneebedeckte Gegend hin. Der arme Kleine hatte seine blonden Locken, die von der Kälte angeduftet waren, noch mit dem leichten schwarzen Strohhute vom letzten Sommer her bedeckt, und seine beide Wangen glühten nochrot vor Frost….

 

Weihnachtsfreude einer armen Näherin

 

Borbeck (Rheinpreußen). 1.Januar. Eine große Weihnachtsfreude erlebte eine hiesige arme und dazu noch verkrüppelte Näherin, welche sich selbst und ihren kleinern Geschwistern durch fleißige Arbeit durchs Leben hilft. Das Mädchen hatte sich vor einiger Zeit unter Darlegung ihrer Verhältnisse an den Kaiser Wilhelm gewandt mit der Bitte um eine Beisteuer zur Anschaffung einer Nähmaschine. Am Weihnachtsabend traf nun von Berlin, in einer großen Kiste sauber verpackt, eine neue prächtige Nähmaschine ein.

Aus Zeitschrift für Dienstboten, 1888, Bet und arbeit fromm, fleißig und treu, freundlich und fröhlich dabei)

 

s.a.

http://www.pom-lit.de/lyrikzeitung/pplinks0207.html  

 

 

Beispiele

 

Weihnachtsfreuden

 

Bocholt: Während der deutsche Einzelhandel mit dem Umsatz vor den Festtagen voll zufrieden ist, die Preise durchschnittlich 2% höher lagen als vor Jahresfrist, Deutschland noch nicht gerüstet ist für eine globale Vogelgrippe-Pandemie, pakistanische Flugzeuge Bombenangriffe gegen Bergstämme in Belutschistan fliegen, der iranische Präsident den Holocaust leugnet und die Behörden im indischen Bombay nach den Bombenlegern suchen, die für die 190 Toten und 600 Verletzten verantwortlich sind, stellt Siemens in Bocholt die Handyproduktion ein, verkauft die gesamte Handyproduktion an den taiwanesischen Konzern BenQ, kauft für 1,2 Milliarden Euro die benachbarten Flenderwerke und garantiert den Beschäftigten, die jetzt in einer eigenen Firma schnurlose Telefone produzieren sollen, in jedem Fall bis zum Weihnachtsfeste 2006 ihren Arbeitsplatz.

So verhindert das Christkind durch Sozialplan, Tarifverzicht und Existenzgründungsseminare, dass sich die Zahl der 4,36 Millionen Arbeitslosen nochmals erhöht.

 

günter neuenhofer, sept. 2006

 

Reiseträume am Heiligabend 2005

An dem heiligen Abend vor dem Weihnachtsfeste jettet der rastlose Jack, ein viel gereister, nicht unbetuchter Europäer mit dem 300 Stundenkilometer schnellen ICE aus dem Münsterland in Richtung Indien.

Im Sinn das Lied vom „Grün der Erd, die bringet Rosen“,
vom „Engelein in Lüften“, „Jesulein süß“,
geht sein Blick durchs graue Fenster,
wandelt sich münsterländische Landschaft
ins Schwarz weiter Schotterflächen,
garniert durch die schwarzen Äste der Sträucher,
Schmetterlingsblütenstände anderer Jahreszeiten.

Vorbei an den farblosen Paradiesen der Kleingärtner,
zwischen rostigen Schienen aus anderen Zeiten,
vorbei an Bottrop - Boy und Vonderort,
vorbei an ausrangierten roten Loks am Hauptbahnhof Oberhausen
geht die Fahrt mit der Priegnitzer Bahn.

Kein Stern, der uns leuchtet am Weihnachtsabend zum Abschied aus Deutschland.

Der ICE zeigt in roter Schrift „300 Stundenkilometer“.
Nicht schnell genug, um den schwarzen Vögeln hinter dem Fenster zu entkommen.

Durch schwarze Tunnelröhren geht die Jagd,
sticht in die Ohren, nimmt den Atem,
rauscht in Richtung Flughafen Frankfurt.

Kein Weihnachtsbaum, an dem die Lichter brennen,
kein Schnee, der leise rieselt,
kein Glöckchen, das klingelt.

O wunderliches Dunkel dieses Abends.

Das Flugzeug kommt vom Himmel hoch,
bringet ihm die gute Mär
“In 7 Stunden in Bombay“.
Des ist sind alle Gäste fröhlich.

Eingesperrt in die Schwanzspitze der fliegenden Rakete rasen sie mit einer 980 Stundenkilometer schnellen Boeing Richtung Asien, während Jack sich entspannt im Sessel zurücklehnt, ein Buch in den Händen hält und von dem Saal, den Kerzen, von der weiß gedeckten Tafel der Konsulin Buddenbrook liest. Stewardessen, Engel mit einem roten Punkt auf der Stirn, tragen Geschenke herein und beginnen mit der Bescherung: Chickenbrust mit Tomaten, Kartoffeln und Gemüse.

Jack liest von singenden Chorknaben, deren helle Stimmen sich rein, jubelnd und lobpreisend aufschwangen. „O, jauchze laut“ und „Freue dich“.

Er liest von der Prozession der Familie Buddenbrook durch den Bescherungssaal, der erfüllt ist von dem Dufte angesengter Tannenzweige, der leuchtet und glitzert von unzähligen kleinen Flammen, die am Tannenbaum flimmern in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne. „O Tannenbaum, o Tannenbaum“ tönt es durch den weiten Raum.

Da erlischt plötzlich das Licht im Flieger und Holly- und Bollywood erscheinen auf der Leinwand und verkünden laut dröhnend die Botschaft

“Lasst uns froh und munter sein
Und uns recht von Herzen freun!
Lustig, lustig tralleralera!
Heut ist der Weihnachtsabend da.“

Dann wird die Nachtruhe der stillen, heiligen Nacht angesagt, in der der Engel zu den Hirten trat, die des Nachts ihre Herde hüteten, und sprach: Friede den Menschen auf Erden.

Das Flugzeug strebt brummend und dröhnend dem Morgenlicht entgegen,
940 h/km, -60° C., 24 Uhr Ortszeit über der arabischen See, 10 700 m hoch.

Und es begab sich, dass Maria ihren ersten Sohn gebar, vor 2005 Jahren.

Jack aber befindet sich in diesem Moment auf dem Weg in eine andere Welt, wo die Menschen vor ihren Hütten stehen und beten:

O Gott,
halte den Hunger fern von unserem Land,
Krankheiten von unserem Volk.
Unser Land und die Welt
Lass in Frieden leben.

günter neuenhofer 2005/6

 

 

VHS Schreibwerkstatt 2                    13.9.2006

1. Die schriftliche und mündliche Präsentation von Texten:

Vermittlung des Textes
1) durch Graphische Gestaltung des Textes und Bildzugaben
2) durch mehrmaliges Vortragen in verschiedenen Ausdrucksformen, durch Aufteilung auf mehrere Sprecher, durch Requisiten, Gesten und Aktionen

2. Schreibe Elfchen und Haikus zum Thema Weihnachten

3. Schreibe eine Weihnachts-Variante zu den folgenden Gedichten

Beginne mit der ersten Strophe und beachte die Farbwörter.

Der rote Handkarren (von W.Carlos Williams)

soviel hängt ab                                      so much depends
von                                                          upon

einem roten Hand-                                 a red wheel
karren                                                      barrow

glasiert vom Regen-                              glazed with rain
wasser                                                     water

bei den weißen                                       beside the white
Hühnern     
  

Grüner Dunst von Michael Bullock

 

Übers Papier wandernd

Zeichnet meine Feder

Die Umrisse eines riesigen Baumes

Einer Kugel aus grünem Glas

In der Luft hängend

Eines grünen Auges

Das das All

Mit tiefster Verachtung betrachtet

 

Ein grüner Dunst bemäntelt die Sterne –

Eine Myriade goldener Brustwarzen

4. Erzähle nach dem Vorbild der Rosegger-Geschichte ein eigenes Weihnachtserlebnis

Als ich Christtagsfreude holen ging http://www.weihnachtsgeschichten.org/christtagsfreude.htm
Peter Rosegger ( 1843-1918 )

In meinem zwölften Lebensjahr wird es auch gewesen sein, als am Frühmorgen des heiligen Christabends mein Vater mich an der Schulter rüttelte: ich solle aufwachen und zu Besinnung kommen, er habe mir was zu sagen. Die Augen waren bald offen, aber die Besinnung! Als ich unter Mithilfe der Mutter angezogen war und bei der Frühsuppe saß, verlor sich die Schlaftrunkenheit allmählich, und nun sprach mein Vater: „Peter, jetzt höre, was ich dir sage. Da nimm meinen Stecken, denn es ist viel Schnee, und da nimm eine Laterne, denn der Pfad ist schlecht und die Stege vereist. Du mußt hinabgehen nach Langenwang ...

Hier findest Du klassische Weihnachtstexte: http://www.weihnachtsideen24.de/weihnachtsgeschichten.html

Hier kannst Du Weihnachtstexte lesen oder selbst ins Internet stellen: http://www.online-roman.de/weihnachtsforum.html

Beispiele

 

Weihnachtlicher Dunst (Variation zu M.B)

 

über die tastatur wandernd

zeichnen meine finger

die gezirkelten umrisse von bäumen

grüne Pyramiden

in den himmel stechend

drohend

dem lieben gott

 

goldener dunst blendet das auge

weihnachtsnebelsterne

 

g. neuenhofer, aug. 2006


Aus des Schnees Einsamkeit steigt's wie wunderbares Singen - O du gnadenreiche Zeit! Variation zu Rosegger

 

In meinem fünften Lebensjahr wird es gewesen sein, als an einem Tag des Christfestes mein Vater mich an den Schultern fasste, mich schüttelte und mir zu verstehen gab, so gehe es nicht. Meine Tat werde noch Folgen zeitigen. Als ich später, nach den besänftigenden Worten der Mutter, verängstigt am Abendtisch saß und das Donnerwetter meines Vaters erwartete, hörte ich hinter der Türe im Flurhause ein leises Geläut und schwere, polternde Schritte.

Als sich die Türe öffnete, stand ein großer Mann mit langem, weißem Bart vor mir. Sein Gesicht war gleichfalls bedeckt von einer weißen Wolle, die sogar seine Augen zu verhüllen schien. Mit strenger Miene und einem Stöckchen bedeutete er mir, vorzutreten und einen Gruß für den Weihnachtsmann vorzusprechen. Stotternd ob des unerwarteten Ereignisses, stammelte ich „Markt und Straßen stehn verlassen, Still erleuchtet jedes Haus“, dann stockte ich, denn hinter dem großen Mann zeigte sich ein schwarzes Gesicht mit glühenden Augen, welches Bild mich zur Flucht hin zu meiner Mutter veranlasste, die für mich die Worte weiter sprach „Sinnend geh ich durch die Gassen, Alles sieht so festlich aus“. Meine Augen in die Schürze meiner Mutter gedrückt, wollte und konnte ich nichts mehr sehen und hören. Erst recht nicht, als der fremde Mann fragte, ob ich auch immer artig gewesen sei. Mein Vater versuchte mich mit den Worten von der Mutter wegzuziehen „Heute hat er versucht den Küchenschrank zu öffnen und hat dabei den ganzen Schrank umgestürzt.“ Mir war, als würde ich vor Scham und Angst in den Boden hineinsinken, während meine Mutter weiter den Text aufsagte „Tausend Kindlein stehn und schauen, Sind so wunderstill beglückt.“. Schließlich gelang es mir mit einem Sprung, ins Nebenzimmer zu entkommen, während meine Mutter weiter deklamierte „Und ich wandre aus den Mauern Bis hinaus ins freie Feld“.

Soviel habe ich noch in Erinnerung, dass der heilige Mann mit seinem schwarzen Gesellen alsbald die Treppe hinunterpolterte, so dass ich aufatmete und da kamen mir wieder die letzten Verse in den Sinn „Hehres Glänzen, heil'ges Schauern! Wie so weit und still die Welt!“ Ein schrecklicher Abend!

g. n.

 

Wort- und Silben-Elfchen

Weiß

Das Blatt

In Deinen Händen

Fülle es mit Worten:

Advent

 

Hier

Schreiben

Wir Träume

Auf für morgen.

Komm!

 

Jetzt

Singen

Wir wieder

Advents-Elfchen

Horch!

 

Haiku

Die schmale Treppe -

Hinter der Tür ein Schreibtisch,

Elf Wörter für Dich.


 

VHS Schreibwerkstatt 3                    27.9.2006

Personen wahrnehmen, beschreiben und literarisch darstellen.

1. Beschreibe das Äußere einer Person in einer bestimmten Situation als Betrachter.

 

Alle drängten sich um den Eintretenden her und musterten ihn mit scheuer Neugier. Eine armselige Figur! Mit schiefem Halse, gekrümmtem Rücken, die ganze Gestalt gebrochen und kraftlos; langes, schneeweißes Haar hing um sein Gesicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. (A. Droste-Hülshoff, Die Judenbuche)

Beobachtungen zu einer Stirn

Wenn eine schön-gewölbte Stirn, in der Mitte zwischen den Augbraunen, besonders, wenn die Augbraunen markiert, gedrängt, regulär sind, eine leicht sichtbare, perpendikuläre, nicht gar zu lange - oder zwo parallele Falten dieser Art hat, so gehört sie sicher zu den Stirnen erster Größe. Solche Stirnen sind nur zuverläßig klugen und männlich-reifen Charaktern eigen; und wenn sie sich an Frauens-Personen finden, so wird man schwerlich was klügeres, honnetteres, königlich-stolzeres und bescheideneres finden.( Aus Hundert physiognomische Regeln,1772)

http://gutenberg.spiegel.de/lavater/physiogn/physio61.htm

 

Beschreibung der Kleidung

...während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die »Kleine«, was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war.

Effi Briest ,Theodor Fontane, 1819 -1898

 

 

2. Beschreibe die Person durch einen inneren Monolog, in dem die Person über sich und ihr Verhalten in einer Situation nachdenkt.

 

3. Beschreibe eine Person durch einige Verse.

 

Hans Georg Bulla, Der tote Nachbar, 1980

 

Redete mit den Vögeln,

den Blumen im Garten.

 

Ging langsam auf dem Kiesweg

dem hellen Enkelkind nach.

 

Ließ mir den Vortritt im Laden,

 ich hatte es immer eilig.

 

Text-Varianten:

Der tote Vater


Stand hinter der Theke

Im weißen Kittel eines Drogisten

Gestüzt auf den hornigen Knöcheln der Hände

Die Zähne zusammengebissen vor Schmerz

Blickte weit über die Straße

Dem Krankenwagen nach

Erkannte mich nur mit Hilfe des Arztes

Ich kam aus einer anderen Welt

(hg.n., 10. 2006)

Johann B.

Während die Frau den Schwengel der Pumpe in der Ecke der Wohnung hob und niederdrückte, das Wasser in einem Emailtopf auffing, saß der Mann auf dem Sofa an der Wand und drehte kleine Kartoffeln zwischen seinen breiten Fingern. Ab und zu fiel eine hauchdünne Schale in den Korb auf seinem Schoß und die Kartoffel flog in den mit Wasser gefüllten Eimer. Es war ersichtlich, dass er diese Arbeit nicht zum ersten Male verrichtete, zumal er mit großer Könnerschaft die Kartoffelschalen hauchdünn hielt, ohne sich auch nur im geringsten zu verletzen Von Zeit zu Zeit nahm er ein Lederband von der Wand und bewegte auf diesem das kleine Messer schnell hin und her wie er es jeden Morgen mit dem Rasiermesser machte, bevor er den Seifenschaum und die Haarstoppeln von seinem Gesicht und von seinem Schädel abkratzte.

Er hatte ein dunkelblaues Tuch wie eine Schürze umgebunden, das seine schwarze Hose vor Schmutzspritzern schützen sollte, die bei der Arbeit des Schälens trotz aller Vorsicht immer wieder zum Missfallen seiner Frau hässliche Flecken auf dem Schwarz hinterließen.

Ohne den Blick zu heben begann er zu erzählen….

hg.n.,10.2006

 

VHS Schreibwerkstatt 4 8.11.2006

1. Erzähle von einer körperlichen Verwandlung

Beispiel: Franz Kafka, Die Verwandlung

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.

»Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum.

http://www.inventor.hu/vedresd/alk/kafka2d.htm

Nimm die Bilder von Spillner als Anregung oder erfinde „Surreale“ Personen.

2. Schreibe eine Szene für eine Präsentation vor einem Publikum

Beispiel: P. Handke, Kaspar, ed. Suhrkamp, S.68/9

Kaspar stellt sich in verschiedene Positionen. Er ändert immer wieder die Stellung von Armen und Beinen. Er kreuzt z.B. die Arme übereinander, schiebt ein Bein vor, lässt die Arme fallen, kreuzt die Beine übereinander usw…..

Er fängt an zu sprechen:

Ich bin gesund und kräftig. Ich bin ehrlich und genügsam. Ich bin fleißig und….

Er ist unterdessen langsam weiter nach vorn gegangen.

Früher von Sätzen geplagt

Kann ich jetzt von Sätzen nicht genug haben

Er bleibt stehen:…

Er geht einen Schritt weiter oder mehr:

Früher war mir jeder vernünftige Satz eine Last…

Er geht etwa einen Schritt:

Jetzt mit dem Eintritt der Ordnung, verändern sich meine Sitten…

Ich will still sein…

Er geht mehrmals weg und kommt wieder. Er sagt nichts.

.

.

Beispieltexte von Günter Neuenhofer

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Der tote Vater


Stand hinter der Theke

Im weißen Kittel eines Drogisten

Gestüzt auf den hornigen Knöcheln der Hände

Die Zähne zusammengebissen vor Schmerz

Blickte weit über die Straße

Dem Krankenwagen nach

Erkannte mich nur mit Hilfe des Arztes

Ich kam aus einer anderen Welt

(hg.n., 10. 2006)

Johann B.

Während die Frau den Schwengel der Pumpe in der Ecke der Wohnung hob und niederdrückte, das Wasser in einem Emailtopf auffing, saß der Mann auf dem Sofa an der Wand und drehte kleine Kartoffeln zwischen seinen breiten Fingern. Ab und zu fiel eine hauchdünne Schale in den Korb auf seinem Schoß und die Kartoffel flog in den mit Wasser gefüllten Eimer. Es war ersichtlich, dass er diese Arbeit nicht zum ersten Male verrichtete, zumal er mit großer Könnerschaft die Kartoffelschalen hauchdünn hielt, ohne sich auch nur im geringsten zu verletzen Von Zeit zu Zeit nahm er ein Lederband von der Wand und bewegte auf diesem das kleine Messer schnell hin und her wie er es jeden Morgen mit dem Rasiermesser machte, bevor er den Seifenschaum und die Haarstoppeln von seinem Gesicht und von seinem Schädel abkratzte.

Er hatte ein dunkelblaues Tuch wie eine Schürze umgebunden, das seine schwarze Hose vor Schmutzspritzern schützen sollte, die bei der Arbeit des Schälens trotz aller Vorsicht immer wieder zum Missfallen seiner Frau hässliche Flecken auf dem Schwarz hinterließen.

Ohne den Blick zu heben begann er zu erzählen….

hg.n.,10.2006

(Sprechtexte von B.Oe. im Internet)



VHS Schreibwerkstatt 5 22.11.2006

Das Komponieren von Handlungen

1. Schreibe zu folgendem Erzählanfang eine Fortsetzung bzw. eine Zusammenfassung (Fabel/plot) der gesamten Erzählung.

Anfang einer Erzählung („Sonnenspiegelung“ von J.C.Wagner, 2006), in der Spannung erzeugt wird.

Als M.H. am Morgen den Vorhang zur Seite schob, um das Sonnenlicht hereinzulassen, stand ein Mann auf der anderen Straßenseite und blickte durch die Fensterscheibe mitten in seine Augen. H. blieb eine Weile reglos stehen und wartete darauf, dass der Mann den Blick abwenden und weitergehen würde.

„Was ist denn?“ fragte Lisa, die sich im Bett aufgerichtet hatte. „Hm?“ „Was ist denn da draußen?“ fragte Lisa. „Nichts.“ Er zog den Vorhang zu, beugte sich zu Lisa hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er rasierte sich, putzte die Zähne, duschte und zog sich an. Dann ging er durch den schattigen Flur ins Wohnzimmer, setzte sich an den gedeckten Tisch und erwiderte Lisa Lächeln. Er trankt einen Schluck Kaffee, nahm ein Brötchen, bestrich es mit Butter, legte eine Scheibe Schinken darauf und überflog die Schlagzeilen auf der ersten Seite der Tageszeitung.

„Draußen steht jemand“, sagte Lisa. Er hob den Blick. „Da steht ein Mann direkt gegenüber. Auf der anderen Straßenseite.“ „Ja….“, sagte H. „Du hast ihn schon gesehen?“ „Nein…nein, natürlich nicht“, sagte H. „Dann guck doch mal. Der sieht zu uns rein, glaube ich“, sagte Lisa.


H. stand auf und trat an die Fensterfront heran. Durch die geöffnete Zimmertür drang lauer Wind. Ein warmer Tag, dachte er. Das Wasser im Schwimmbad war eine ruhige Fläche, auf der sich die Sonne spiegelte. Im Schatten unter einem Baum stand der Mann.

„Er war die ganze Zeit da, schon als ich angefangen habe, den Tisch zu decken“, hörte er Lisa sagen. H. kehrte zum Tisch zurück, setzte sich und biss in sein mit Schinken belegtes Brötchen. Er griff nach der Zeitung.

……………….

2. Schreibe den Anfang einer Geschichte. Nimm den obigen Anfang oder einen anderen Erzählanfang als Beispiel. Ein anderer Teilnehmer des Kurses soll die Geschichte ein Stück weiterschreiben oder dir einen möglichen Handlungsverlauf mit Schlussteil vorschlagen.

3. Stelle selbst geschriebene Texte aus der Schreibwerkstatt zum Thema „Menschenbilder“ zusammen.

Toni wird Euch nähere Anweisungen zum Kopieren der Texte zumailen.

Nächster Termin am 29.11.2006

Menschenbild von Christof Bödeker


Die alte Frau und das Spinnrad

ist das Spinnrad und die

Bewegung der alten Frau

ist Sommer und Winter mit drehenden Spillen

Ihr Moment ist mehr als

die klappernde Drehung

solche Momente, die sich wiederholen

in drehenden Spillen,

erhoffen zu versinken in Übung

zwischen Tageszeiten und

abgewetzten Gummisohlen

Die alte Frau dreht die

Spillen drehen die alte Frau

Dezember 2006

Ausgangstext als Rundmail von Marita Wessels

Zypern, Oktober 1995

„Schnell, beeile dich doch! Wenn jemand kommt!“

Der untersetzte Grieche trieb seinen Freund an. Die warme Neumond-Nacht war dunkel und die Sterne gaben kaum Licht. Ab und zu zirpen einige Zikaden, ansonsten war es still. Schon lange hatten die beiden Männer kein Licht mehr auf der Straße gesehen, die etwa einen Kilometer unterhalb ihres Standortes am Fuß des Hügels entlang führte. Die Felder ringsherum lagen brach, die Ernte war bereits eingefahren. Einige dürre Bäume standen hier und dar mitten auf den Feldern, boten aber kaum einen Sichtschutz oder gar eine Tarnung. Die beiden Männer waren eingespieltes Team. Sie hatten es schon oft gemacht. Der eine ein arbeitsloser Dozent, der sich seit seinem Studium nur mit Aushilfsjobs ohne Aussicht auf Festanstellung über Wasser gehalten hatte, der andere ein gewiefter Handwerker, der seinen kleinen Baubetrieb nur mit Mühe vor der Pleite bewahren konnte. „Es kommt niemand! Das Gehöft ist schon seit zwanzig Jahren verlassen! Soll ich sorgfaltig arbeiten oder willst du lieber Ärger mit dem Holländer?“

München, Januar 2001

„Aufmachen! Polizei!“

Der Ruf schallte klar und erbarmungslos durch die kalte Nacht. Das Haus im noblen Münchener Vorort lag im Dunkeln. Die Außenbeleuchtung war vor fünfzehn Minuten von den Beamten abgeschaltet worden. Die Sterne funkelten hell in dieser eisigen Nacht, in der der Frost sein kaltes, weißes Netz über München spannte. Seit Stunden harrten die Beamten des Sonderkommandos unter der Leitung von Interpol in der Eiseskälte aus und warteten auf den Zugriffsbefehl. Hinter ihnen lagen Tage und Stunden genauester Planung. Der Tipp war fast vor genau einem Jahr bei Interpol eingegangen, doch erst jetzt waren die Ermittlungen soweit abgeschlossen, dass die Behörden einen Zugriff wagen konnten. Das Auswärtige Amt war informiert worden und hatte seine Unterstützung zugesagt. Der Leiter der Ermittlungen atmete durch und ging langsam auf die Eingangstür der Villa zu, die sich nun mit einem Ruck öffnete. Der Mann trug noch die Anzughose und das Hemd, mit dem er vor einer halben Stunde aus der Oper gekommen war. Er war zornig über die Störung und schrie dem Beamten einen Schwall türkischer Worte entgegen. Der Einsatzleiter zeigte sich unbeeindruckt. Aus seinem Schatten trat ein anderer Mann. Es war ein deutsch-türkischer Beamte, der nun dem aufgebrachten Türken den Grund für den unangemeldeten Besuch erläuterte. Gleichzeitig verschafften sich die Beamten des Sonderkommandos Zutritt zum Haus, begannen mit der Haussuchung und die gesamte Außenbeleuchtung flammte wieder auf.

Fortsetzungplot von Christoph Gesing


Zypern

Vorüberlegungen

- Zypern ist geteilte Insel mit EU-Einfuhrverbot in Nordzypern. Es könnten also Schmuggler sein.

- Sie sind auf einem Hügel inmitten von Feldern in der Nähe eines verlassenen Gehöfts. Ideales Lager für Schmugglergut.

- Der eine will sorgfältig arbeiten. Wobei oder woran? Tunnel, Technik

- Der andere ist Grieche, also wird vom griechischen Teil in den türkischen Teil geschmuggelt.

- Der Holländer beschafft Ihnen die Schmuggelaufträge

Plot: Der Bauunternehmer hat einen Tunnel zum anderen Teil der Grenze gebaut. Über eine Seilwinde wird das Schmugglergut über eine Rutsche zum anderen Teil gezogen. Meistens wissen Sie nicht was in den Paketen ist. Nur in dieser einen Nacht machen Sie einen Fehler und öffnen eines der Pakete.

Die seltsame Waffe die Sie darin fanden, sahen Sie erst auf den Bildern im Fernsehen nach dem Attentat auf den Papst wieder. Da wussten Sie, dass Sie in Gefahr waren....

München

Die Hintermänner des Anschlags werden gefasst. Die beiden Schmuggler vom Anfang können wieder in Ihre Heimat zurückkehren.