3. In der Hauptstadt Yangon

Als wir am ersten Nachmittag durch die Straßen gehen, haben wir den Eindruck, wir seien in Indien. Dichter Autoverkehr, immer wieder Staus. Die Autos sind die absoluten Herren der Straße. Kein Auto hält für einen Fußgänger. Nur die Ampeln, die von 30 auf 0 zählen, halten die Autos auf. Kein Ochsenkarren wagt sich dazwischen, nur die vielen Rikschafahrräder, die jeweils zwei Passagiere auf einer "Beiradkiste" befördern, steuern klingelnd tollkühn und selbstmörderisch durch den Verkehr. Allerdings haben wir während der dreiwöchigen Rundreise keinen einzigen Verkehrsunfall gesehen.

Die Straßenränder sind besetzt durch Verkaufsstände und winzige Essrestaurants. Neugierig schauen wir in die bleichen Gesichter der Frauen und Mädchen. Sie wirken bleich, krank und abgespannt. Nur die Augen leuchten manchmal, wenn sie uns anlachen. Und die Burmesen lachen sehr gern. Diese bleichen Gesichter werden uns während der ganzen Reise begleiten. Das Geheimnis der Gesichter: jeden Morgen streichen sich die Frauen eine hellgelbe Paste zum Schmuck, zur Pflege und zum Schutz vor Sonnenstrahlen über die Wangen, die Stirn und manchmal auch auf die Nase und das Kinn. Sie gewinnen die Paste aus Thanaka, einem Holz, das fast an jedem zweiten Verkaufsstand angeboten wird.
Der Aufzug unseres Hotels Asia Plaza trägt uns hoch in den 9. Stock. Es ist eine futuristische Fahrt durch eine neonbestückte Glasröhre, rot – blau – rot, die den Blick frei gibt auf die Stadt. Unter uns tutet ein Zug. Gleisanlagen, abgestellte bunte Züge. Das krächzende Hupen von Autos. Das Rauschen des Straßenlärms. Aus der Nachbarschaft endlose Rufe und Gesänge aus einer Moschee. Und dann in der Ferne eine goldene Spitze. Der glänzende Finger Buddhas, der hinauf ins Nirwana zeigt.

Das ist die Shwedagon Pagode, mit 8688 Goldplatten belegt, an der Spitze ein 10 Meter hoher Schirm aus 7 vergoldeten Stangen, an dem 3154 goldene und 420 silberne Glocken hängen, rundherum und darüber sind 79 569 Diamanten, 2317 Rubine, Saphire und Topase montiert, und als oberste Spitze leuchtet ein riesiger Smaragd von 76 Karat. Das teuerste Symbol der Welt.

 

Über 8 Haaren des letzten Buddha errichtet, erhebt es sich 99,50 m hoch, ausgehend von 3 viereckigen Terrassen, die in achteckige und dann in 5 kreisförmige Bänder übergehen. Darüber die Glocke mit 16 Blütenblättern, dann der Turban und die nach innen geschwungene Bettelschale mit Lotosblütenornament, dann der schlanke Teil in Form einer Banane, dann der Schirm, dann die Wetterfahne und als Abschluss eine Goldkugel von 25 cm mit dem Smaragd.

Ein Stupa symbolisiert das Bewusstsein Buddhas, den Aufstieg von der Erde über die Elemente Wasser, Feuer, Luft zum Äther. Stufen, die auf den Weg zur Erleuchtung hinweisen. Ein Stupa ist ein Appell. Er will durch seine äußere Form die Sehnsucht nach dem Göttlichen, nach der Buddha-Existenz, nach der Erlösung vom Leid der Welt erwecken. Überall in Myanmar stehen diese Symbole und Mahnmale in der Landschaft, mal leuchten sie golden von den Bergspitzen, mal weiß über den Palmen und in den grünen Reis- und Bohnenfeldern.
Nirgendwo aber haben die burmesischen Könige einen solch gewaltigen und prächtigen Stupahügel errichtet wie hier in Yangon.

Die über 100 Tempel und die vielen Statuengruppen, die die große Pagode umgeben, bergen so viele Formen des religiösen Lebens, dass es unmöglich ist, hier alles darzustellen. Menschen sitzen mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen zwischen den Gehenden, die die Pagode umrunden, oder in kleinen höhlenartigen Tempelchen mit niedrigem Eingang, andere murmeln und singen ihre Gebete, ziehen ihre Gebetsperlen durch die Finger, verneigen sich immer wieder bis zum Boden. Viele kaufen Blattgoldblätter, um sie an die Pagode oder an eine Buddhastatue zu heften. Keiner schämt sich seine "Bemühungen" um ein besseres Karma öffentlich zu zeigen. Eine Gruppe von 20 Frauen nähert sich. Sie kehren in einer Reihe die weiten Marmorflächen. Dieses Fegen ist eine weitere absonderliche "Bemühung". Immer wieder werden wir von Leuten angesprochen. Ein Mönch schildert uns mit leuchtenden Augen, wie stark er hier die religiöse Energie spürt und sucht. Verschwindet hier die Boshaftigkeit der Welt? Die soziale Wirklichkeit? Die gewalttätige Unterdrückung der Freiheit durch die Militärs? Unsere Führerin sagt: Das Böse ist nur in meinem Innern. Was heißt das? Kann das Böse nicht von außen Gewalt ausüben, töten, quälen, einsperren? Wie verhalte ich mich diesem Bösen gegenüber? Setze ich weiter auf Harmonie, verzichte auf Gegenwehr? Verdränge ich Geschehenes, die Folter im Gefängnis? Wende ich mich sofort und nur der Gegenwart und Zukunft zu im Sinne der Schaffung einer inneren Harmonie? Werden alle gleichzeitig um diese Harmonie bemüht sein? Unsere Führerin lächelt, ach, ach, ach.

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